Kanzler zwischen Konsens und Castor

Transporte und viele strahlende Reaktorjahre: Wie die HEW sich den Ausstieg vorstellen  ■ Von Sven-Michael Veit

Vor Jahr und Tag hatte Manfred Timms Stimme noch erhebliches Gewicht. Am 26. Januar 1999 fand in Bonn das erste Konsensgespräch über den Atomausstieg statt, und der Vorstands-Sprecher der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) war Verhandlungsführer der Atomkonzerne. Als deren Chef-Unterhändler saß er Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gegenüber. Und erklärte diesem, dass er beim Atomausstieg „eher in Jahrzehnten als in Jahren“ rechnen solle.

Wenn der Regierungschef in einer Woche, am 4. Februar, sich zu erneuten Konsensgesprächen mit der Chefetage der deutschen Stromwirtschaft trifft, bleibt Timm außen vor. Der Kanzler sondiert die Lage mit den vier Großen der Branche, und da haben die HEW, die Nummer acht unter den deutschen Stromkonzernen, nichts zu melden. Was allerdings nicht heißt, dass sie sich widerspruchlos in alles fügen würden, was in Berlin vereinbart werden könnte. Den Weg vor das Bundesverfassungsgericht hält Timm sich ausdrücklich offen, falls es zu „Ergebnissen kommen sollte, die wir nicht akzeptieren können“.

Dies gilt in erster Linie für die Dissenslösung eines von der rot-grünen Mehrheit im Bundestag verabschiedeten Atomausstiegsgesetzes, falls es mit einem Konsens nichts werden sollte. Um den zu ermöglichen, so Timms Sprecher Johannes Altmeppen, werde die Bundesregierung sich „bewegen müssen“. Die Verhandlungsposition von SPD und Grünen, die Gesamtlaufzeit für Atomkraftwerke auf 30 Jahre zuzüglich einer Übergangsfrist von drei Jahren für Alt-Reaktoren zu beschränken, hält Altmeppen „für legitim“. Akzeptabel sei sie gleichwohl nicht.

Die HEW beharren auf 35 bis 40 Volllastjahre. Dies würde eine Stilllegung des jüngsten HEW-Meilers Brokdorf frühestens Mitte der 20er Jahre bedeuten. Nach rot-grünen Vorstellungen würde dieser Reaktor 2016 abgeschaltet und das älteste HEW-AKW in Stade bereits in drei Jahren. Für Timm wäre dies unvorstellbar.

Die Laufzeiten seien aber „nur eine von vielen Fragen“, die zwischen Kanzler und Strom-Managern zu klären seien, stellt Altmeppen klar. Die Besteuerung der von den Konzernen in Milliardenhöhe angehäuften Rückstellungen zählt er ebenso dazu wie die Atommüll-Entsorgung in Zwischen- und Endlagern sowie Atom-Transporte. Diese wurden gestern vom Bundesamt für Strahlenschutz wieder genehmigt (siehe Seiten 1 und 3), was Altmeppen für eine weise Entscheidung hält: „Ohne neue Transporte wäre kein Konsens möglich.“

Die HEW können noch ein bis zwei Jahre auf erneute Castor-Transporte verzichten, da drei ihrer vier Reaktoren noch über Kapazitäten zur Aufbewahrung abgebrannter Atombrennstäbe verfügen. Am engsten ist es im AKW Stade, das ohne Transporte oder eine Zwischenlösung im nächsten Jahr wegen Überfüllung abgeschaltet werden müsste. Das seitens der Bundesregierung herbeizuführen, warnt Altmeppen, „wäre eine Verstopfungsstrategie“. Auf die würde Timm eine klare Antwort geben: Er würde den Kanzler nach Karlsruhe vor den Kadi zerren.