Kommentar
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Schneller ■ Wirtschaft und Senat verweigern sich Zwangsarbeitern

Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Wer sich die Mühe macht, Berliner Firmen hinterherzutelefonieren, was sie jetzt für die Zwangsarbeiter machen wollen, die sie früher ausgebeutet haben, erhält seit einigen Wochen folgende Signale: Gegebenenfalls, vielleicht, womöglich, später, wahrscheinlich, nicht allein . . . werden wir den Ausgebeuteten helfen und uns der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der früheren Zwangsarbeiter anschließen.

Festlegen lassen aber möchte sich kaum jemand. Es ist bezeichnend, dass sich öffentlich nur zwei Unternehmen aus Berlin dazu bereit erklären, etwas für die Initiative zu zahlen. Offenbar begreifen die meisten nicht, dass diese Verpflichtung keine Schande, sondern im Gegenteil ein Schmuck sein könnte für die Unternehmen: Ein Zeichen, dass man sich der eigenen, auch schwarzen Vergangenheit stellt – fast schon ein Kaufargument für die Produkte solcher Unternehmen.

Aber diese Logik scheint den Berliner Unternehmern zu hoch. Sie begreifen die Forderung der Zwangsarbeiter und der Stiftungsinitiative offensichtlich in ihrer überbordenden Mehrheit nur als lästiges Übel. Lieber lässt man sich am Telefon bei Nachfragen verleugnen. Offensichtlich suchen diese Firmen eine biologische Lösung der Zwangsarbeiterfrage.

Doch der Senat ist nicht besser: Auch die Landesregierung drückt sich weg, verweist auf ein Später, auf die Bundesregierung oder gar auf die Wirtschaft, die doch zahle. Ihr Zögern und Zaudern steht der Stadt ebenso schlecht an, denn keine andere Stadt des Nazireiches hatte in ihren kommunalen Betrieben so viele Zwangsarbeiter wie die Reichshauptstadt. Berlin müsste also ganz vorn stehen und auch die Wirtschaft drängen. Aber das ist nicht zu erwarten von einem Senat, dessen Oberhaupt es wie ein kleines Kind aus Sturheit noch nicht einmal fertig bringt, zu einer Zeremonie am Mahnmalsgelände zu kommen, auf das die ganze Welt schaut. Die Lehre aus dem Verhalten der Berliner Wirtschaft und des Senats kann deshalb nur lauten: Öffentlicher Druck ist nötig, sonst bewegt sich für die Zwangsarbeiter gar nichts. Das miese Spiel auf Zeit darf nicht toleriert werden! Philipp Gessler