Ein Dutzend offene Fragen

■ Nach 11 Jahren Debatte wird heute in Berlin symbolisch der Baubeginn des Denkmals für die ermordeten Juden Europas gefeiert. Doch dafür gibt es kaum mehr als eine Grobskizze

Mehr als ein Jahrzehnt wogte die Diskussion durchs Land, jetzt ist es so weit: Heute wird mit einem symbolischen Akt der Bau begonnen. Eine Tafel wird enthüllt, die ankündigt, was hier entstehen soll – ein Stelenfeld, das an die Ermordung von 6 Millionen europäischer Juden erinnern soll. So weit ist alles klar. Aber sehr viel mehr ist unklar. Mindestens 12 Fragen sind unbeantwortet:

1. Wann ist wirklich Baubeginn und wann ist das Mahnmal fertig?

Geplant ist der eigentliche Baubeginn derzeit für den Sommer 2001. Aber wann es tatsächlich los geht, ist abhängig vom „Ort der Information“, der ebenfalls auf oder neben dem Gelände gebaut werden soll. Bei ihm ist jedoch fast alles umstritten. Hier sind Zeitverzögerungen wahrscheinlich. Das Denkmal soll eigentlich in zwei Jahren fertig werden. Aber mittlerweile ist auch 2003 möglich.

2. Wie teuer wird es? Wie teuer wird das noch der Wohnungsbaugesellschaft Mitte gehörende Grundstück?

Die Baukosten für das eigentliche Mahnmal, das Stelenfeld des US-Architekten Peter Eisenman, sollen 15 Millionen Mark betragen. Unklar ist, wie teuer der „Ort der Information“ wird. Geplant sind höchstens 5 Millionen Mark. Doch je nachdem, wie aufwendig er wird, könnten es auch mehr werden. Völlig offen ist bis heute auch, wie viel Geld die Wohnungsbaugesellschaft Mitte für einen Teil des Grundstücks haben will, auf dem das Mahnmal steht soll – auch hier könnten noch einmal Millionen hinzukommen.

3. Wie viel Prozent der Kosten übernimmt das Land Berlin?

Dass der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Eberhard Diepgen (CDU), kein Fan des Eisenman-Entwurfs ist, hat er durch sein angekündigtes Fehlen beim symbolischen Baubeginn deutlich gemacht. Ursprünglich sollte das Land ein Drittel der Kosten übernehmen. Aber möglich erscheint, dass das noch einmal neu verhandelt werden muss, da Berlin nur 2 der 23 Kuratoren der Stiftung zum Bau des Mahnmals stellt. Vereinzelt wird im Berliner Senat die Ansicht vertreten, die Stadt habe schon jetzt genug Vorleistungen für das Mahnmal getragen.

4. Wo genau soll der „Ort der Information“ liegen?

Dafür gibt es bisher nur Vorschläge. Einer geht davon aus, dass er am östlichen Rand des Mahnmals vor einer Häuserreihe stehen könnte. Der Mitinitiatorin des Mahnmals und Vizevorsitzenden des Kuratoriums, Lea Rosh, ist der Ort egal. Sie will aber auf jeden Fall, dass das Info-Gebäude nicht auf dem eigentlichen Mahnmalsgelände steht und zumindest eine Straße dazwischen liegt – dazu bräuchte man aber ein neues Grundstück. Und das würde in dieser Citylage teuer.

5. Wie soll der „Ort der Information“ aussehen? (Höhe, Größe, Keller)

Einig ist man sich im Kuratorium lediglich darüber, dass der „Ort der Information“ den Eindruck des Mahnmals nicht schmälern darf. Deshalb wollen manche ihn möglichst klein, andere erwägen einen flachen Bau mit einem größeren Keller. Das würde wegen des schwierigen, sandigen Baugrunds und des hoch liegenden Grundwassers viel kosten.

6. Soll hier nur der ermordeten Juden gedacht werden?

Laut der Entscheidung des Bundestages vom Sommer 1999 soll das Mahnmal ausschließlich an die von den Nazis ermordeten Juden Europas erinnern – aber es herrscht weitgehend Einigkeit, dass der „Ort der Information“ auch die anderen Opfergruppen erwähnen muss. Die Frage ist nur: Wie ausführlich? Die Puristen unter den Eisenman-Fans wollen am Ort der Information möglichst nur knappe Verweise auf andere Opfergruppen und wo man ihrer gedenken kann. Zudem soll es Hinweise auf authentische Orte der Ermordung von Juden wie etwa KZs geben. Der Kulturstaatssekretär des Bundeskanzlers, Michael Naumann, gilt dagegen als Befürworter einer ausführlicheren Würdigung der anderen Opfergruppen, etwa der Homosexuellen.

7. Wo soll die Zufahrt für Besucher sein?

Das ist abhängig von der Sicherheitszone, die die US-Botschaft am Pariser Platz, der direkte Nachbar des Mahnmals, beansprucht. Ursprünglich war eine Zufahrt über die Behrenstraße geplant – aber je nachdem, wie groß die Botschaft wird, könnte dafür kein Platz mehr sein. Für die zu erwartenden Besuchermassen ist auch ein Busparkplatz vonnöten: Aber wo ist dafür Platz: In der engen Behrenstraße oder in der Wilhelmstraße? Und braucht man dafür nicht wieder ein Grundstück?

8. Wo liegt der Eingang?

Ursprünglich war ein Eingangsbereich an der Behrenstraße geplant. Aber auch das ist abhängig vom „Ort der Information“. Denn wenn Rosh ihn möglichst nicht auf dem Gelände haben will, wäre auch der Eingang an der Behrenstraße nur noch schwer denkbar.

9. Wie groß wird das Mahnmal beziehungsweise das Stelenfeld?

Eisenman plant derzeit etwa 2.700 Stelen – aber bis zu 900 weniger könnten es werden, wenn der „Ort der Information“ noch auf das Mahnmalsgelände muss. Dagegen sperren sich viele. Sie bangen um die Wirkung des Denkmals. Der erste Entwurf sah sogar über 4.000 Stelen vor.

10. Wird die geplante US-Botschaft eine Verlegung der Behrenstraße und damit eine Verkleinerung des Geländes nötig machen?

Seit Jahren streiten sich der Berliner Senat und die USA über eine Sicherheitszone um die am Pariser Platz geplante US-Botschaft. Die USA verlangen eine Mindestabstand von 30 Metern bis zur nächsten Straße. Sollten sich die Amerikaner damit durchsetzen, müsste die Behrenstraße auf das für das Mahnmal vorgesehene Gelände verlegt werden.

11. Welche Modelle gibt es für die Sicherheit und den Schutz des Mahnmals?

Niemand will, dass um das Mahnmal ein Zaun aufgestellt wird. Aber wie hindert man Verrückte und Nazis daran, das Denkmal zu beschädigen und zu beschmieren? Bisher gibt es dazu nur Überlegungen. Man hofft, dass die wegen der benachbarten US-Botschaft sowieso nötige Polizeipräsenz abschrecken könnte. Der Stein der Stelen, so ergänzt das Bundestags- und Kuratoriumsmitglied Hans-Joachim Otto (FDP), sollte so beschaffen sein, dass er leicht zu reinigen ist.

12. Wer wird Geschäftsführer der Stiftung?

Die vorgenannten Fragen sind bis heute unbeantwortet, auch weil es nach der Bundestagsentscheidung des vergangenen Sommers fast ein halbes Jahr gedauert hat, bis eine Stiftung installiert werden konnte. Bis heute fehlt ein Geschäftsführer, der das Mahnmal im Detail realisiert. Heute soll nun das Stiftungs-Kuratorium eine Vorauswahl aus zehn Kandidaten treffen. Doch bis zur Bundesratsentscheidung für das Mahnmal, die für den 4. Februar erwartet wird, ist die Stiftung noch nicht selbstständig – und Personalfragen weiter offen. Philipp Gessler