„Kroatien hat viele Jahre verloren“

■ Der Favorit für das Amt des Präsidenten in Kroatien, der frühere jugoslawische Staatspräsident Stipe Mesic, erklärtnach seinem Sieg im ersten Wahlgang seine Pläne zur Überwindung des Tudjman-Systems und zur Zukunft des Balkans

taz: Nach Ihrem Sieg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen haben Sie gleich die Presse scharf kritisiert. Premierminister Racan von der neuen sozialdemokratischen Regierung sagte danach auf Sie gemünzt, die Kroaten bräuchten keinen neuen Franjo Tudjman als Präsidenten. Sind Sie plötzlich gegen die Pressefreiheit?

Stipe Mesić: Natürlich nicht. Ich habe mich darüber aufgeregt, dass ich am Vortag der Wahlen in einer Zeitung lesen musste, ich hätte früher Kontakte zum jugoslawischen Geheimdienst UDBA gehabt. Dies ist Unsinn. Im Gegensatz zu vielen meiner Kritiker hatte ich während der kommunistischen Zeit den Reisepass entzogen bekommen, ich musste mich jeweils bei der Polizei melden, um einmalig ausreisen zu dürfen. 15 Jahre lang unterlag ich dieser Prozedur, ich wurde verhört. Nun hat ein Polizist von damals eines dieser Gespräche aus dem Gedächtnis zitiert und mich als Mitarbeiter der UDBA hingestellt. Der kroatische Armeegeneral Rojk hat diese Geschichte aufgegriffen, und das Ganze wurde einen Tag vor den Wahlen veröffentlicht. Dahinter steht Angst der Mitarbeiter der kroatischen Geheimdienste. Und die ist durchaus berechtigt. Wir werden die Geheimdienste an die Leine nehmen, ihre Finanzierung prüfen, Personal abbauen. Das passt wohl manchen Leuten nicht.

Am 7. Februar müssen Sie in der Stichwahl gegen Drazen Budisa antreten, ein Kandidat aus dem eigenen politischen Lager. Er hat Sie kritisiert, weil Sie als Präsident in Zukunft die Regierung kontrollieren wollten – gegen die erklärte Absicht, Schluss zu machen mit der Tudjman-Ära und das Parlament zu stärken. Verlockt jetzt doch die Macht?

Das ist ein Missverständnis. Ich habe gesagt, dass der Präsident so viel Macht haben wird, wie ihm das Parlament zugesteht. Die sechs Parteien in der Regierung werden eine Vorlage ausarbeiten, und alles, was beschlossen wird, werde ich akzeptieren.

Es gibt also vorab eine Absprache über diese Frage zwischen den Oppositionsparteien, den Präsidentschaftskandidaten und Premierminister Racan?

Nein. Ich denke aber, dass jene Machtpositionen, die Tudjman sich selbst ohne Zustimmung des früheren Parlaments gegeben hatte, als Erstes abgeschafft werden können.

Was halten Sie denn von Ihrem Gegenkandidaten Budisa?

Wir stimmen in manchen Fragen überein, auch in jener, aus unseren Parteien auszutreten, wenn wir Präsident werden. Budisa will unbedingt Präsident werden und Karriere machen. Ich bin da etwas gelassener. Ich war schon Bürgermeister, Parlamentspräsident, Präsident eines Staates [Mesić war der letzte Präsident des jugoslawischen Staatspräsidiums vor dem Krieg, d. Red.]. Mir geht es darum, endlich demokratische Verhältnisse herzustellen, die Wirtschaft anzukurbeln, die außenpolitische Isolation zu durchbrechen. Kroatien hat viele Jahre verloren und ist durch Kriminelle an den Rand des Staatsbankrotts geführt worden.

Was sind Ihre außenpolitischen Vorstellungen?

Wir müssen jetzt alle Anstrengungen unternehmen, den Integrationsprozess in Nato und EU zu beginnen. Wir werden die Einmischung Kroatiens in Bosnien-Herzegowina beenden. Sie wissen ja, dass die alte Regierung die kroatische Gemeinschaft Herceg-Bosna unterstützte und den Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina unterminierte. Wir werden auch die Kroaten Bosniens unterstützen, aber nur über die Strukturen des Gesamtstaates. Die Hilfe, wie zum Beispiel Zuschüsse zu den Renten, für bosnische Kroaten muss transparent werden, schon um Korruption zu vermeiden.

Bedeutet Ihre Vorstellung, dass Kroatien wieder eine stärkere Rolle auf dem Balkan spielen und Verantwortung für Bosnien, für Montenegro übernehmen wird? Tudjman hat ja Kroatien isoliert und wollte mit dem Balkan nichts mehr zu tun haben.

Tudjman hat Kroatien isoliert, um zu vermeiden, dass hier europäische, demokratische Standards eingeführt werden. Hätte er die nämlich zugelassen, hätte die Oligarchie aus 200 Familien das Land nicht so ausrauben können, wie sie es getan hat. Ich möchte erst einmal die Isolierung durchbrechen und die Tudjman-Politik auch im Inneren überwinden. Dann könnte Kroatien die Integration auf dem Balkan vorantreiben.

Was bedeutet das in der Frage der Kriegsverbrecher?

Sicherlich gab es Verbrechen in diesem Krieg, auch von kroatischer Seite. Die Schuld aber muss individualisiert werden, eine Kollektivschuld darf es nicht geben. Um Gerechtigkeit durchzusetzen, werden wir alle Maßnahmen ergreifen, die nötig sind, natürlich auch im internationalen Rahmen. Das Rechtssystem muss erstmals in der kroatischen Geschichte wirklich unabhängig sein.Interview: Erich Rathfelder