Scharpings Bundeswehr-Studie: Schwule sind krank

Verteidigungsminister ordert bei den „Christen in der Offensive“ eine Studie, die die Homophobie der Bundeswehr untermauern soll. Dubiose Zahlen aus den 50er-Jahren

Berlin (taz) – Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) lässt sich seine ablehnende Haltung zu Schwulen in der Bundeswehr von einer dubiosen Studie untermauern: Das Institut für Jugend und Gesellschaft aus Reichelsheim hat im Auftrag des Ministeriums Literatur zusammengetragen, die zeigen soll, dass Homosexuelle in der Bundeswehr für Führungs- und Ausbildungsfunktionen nicht geeignet sind.

Als Grund für Homosexualität wird „eine Verunsicherung der eigenen geschlechtlichen Identität“ gesehen. Schwule fühlten sich nicht als richtige Männer und versuchten, diese Unvollständigkeit durch Sex mit anderen Männer zu kompensieren. Daraus schließen die Macher der Studie, dass „Homosexualität fast immer einen Suchtcharakter“ hat. Ein zusätzlicher Beleg für diesen Punkt sei die Promiskuität von schwulen Männern. Hier beruft sich das Institut, eine Unterabteilung der „Christen in der Offensive“, auf einen Kinsey-Report aus den Fünfzigerjahren. Doch die Zahlen sind wenig aussagekräftig, da es keine Vergleichsgrößen zur heterosexuellen Bevölkerung gibt.

Die Studie argumentiert aus einem Verständnis gleichgeschlechtlicher Sexualität als Krankheit und gibt auch Tipps zur Heilung: Schwule sollten an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten und versuchen, „Ambivalenzen und Berührungsängste zu heterosexuellen Männern abzubauen“.

Diese Sichtweise geht weit zurück hinter die derzeitige wissenschaftliche Einschätzung von Homosexualität: Bereits seit 1991 ist sie nicht mehr im Internationalen Krankheitsregister der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu finden. Gleichgeschlechtliches Begehren wird nicht mehr als therapiebedürftig angesehen. Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, sieht es deshalb als „eine tiefe Beleidung“, wenn eine Studie für das Verteidigungsministerium die Lebensweise von schwulen und lesbischen BürgerInnen „als Krankheit und damit als nicht legitime, minderwertige Lebensform diffamiert“.

Homophobe Aussagen ziehen sich durch den gesamten Bericht. So meinen die christlichen Rechercheure, dass Schwule vor allem dann „den stärksten Drang nach Sex haben, wenn sie sich gerade schlecht fühlen, besonders wenn sie gerade eine Kränkung oder Kritik oder Zurücksetzung (besonders von männlichen Autoritätspersonen) erlebt haben“. Nicht reflektiert haben die Macher der Studie die sexuellen Gepflogenheiten heterosexueller Männer: Nach ihrer Methodik müssten sie Heterosexualität an den Scheidungsziffern, an den Eheberatungsgesprächen oder schlicht an den Umsatzzahlen heterosexueller Prostitution bemessen.

Aber eine genaue Analyse hat man offenkundig im Hause Rudolf Scharpings nicht gewollt. Denn so beraten, scheint es wenig verwunderlich, dass man im Verteidigungsministerium weiterhin verhindern will, dass Schwule beim Bund aufsteigen.

Doch dagegen wehren sich immer mehr Betroffene, etwa der 30-jährige Oberfeldwebel Werner Buzan aus Winsen/Aller, mit Klagen. Nach fünf Jahren beim Bund wollte er Berufssoldat bei den Panzeraufklärern werden. Doch seine Homosexualität wurde entdeckt – man versetzte ihn in die Verwaltung. Das Verwaltungsgericht Lüneburg sah darin einen Verstoß gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes und gab dem schwulen Soldaten Recht. Die Bundeswehr bleibt hart und geht in die Revision. Doch Buzan will notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen. Dort liegt bereits eine Klage von Oberleutnant Winfried Stecher vor. Er war nach Bekanntwerden seiner Homosexualität als Ausbilder abgesetzt worden – mit ausdrücklicher Billigung des sozialdemokratischen Verteidigungsministers.

Die Chancen der homosexuellen Kläger stehen nicht schlecht, zumal der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Europarates in Straßburg letzten September entschied, dass es unzulässig ist, Männer und Frauen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung aus einer Armee auszuschließen. Vier britische SoldatInnen hatten erfolgreich geklagt. Seit diesem Jahr muss die britische Armee Schwule und Lesben zulassen. Auf Deutschland sei dieses Urteil nicht zu übertragen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Rudolf Scharping: „Homosexualität begründet erhebliche Zweifel an der Eignung und schließt eine Verwendung in solchen Funktionen aus, die mit Führung, Erziehung und Ausbildung von Soldaten verbunden sind.“ Nadine Lange