Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) hat gestern das Verbot für Atomtransporte wieder aufgehoben. Seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) hatte das Verbot vor 20 Monaten wegen zu starker Strahlung der Castor-Behälter verhängt. Trittin hat damit den Weg für die Konsensgespräche in der kommenden Woche frei gemacht. Vorerst aber wird kein Atom-Konvoi ins westfälische Ahaus rollen. Der radioaktive Müll soll in den Atomkraftwerken zwischengelagert werden. Atomkraftgegner halten dieses Vorgehen für „juristisch nicht einwandfrei“
: Castor reaktiviert

Jürgen Trittin wird immer kooperativer: Er will künftig Entsorgungsengpässe in den AKWs verhindern helfen

Nach 20 Monaten sind wieder Castor-Transporte in Deutschland genehmigt worden. Doch es ist unwahrscheinlich, dass die 15 Castoren tatsächlich rollen werden. Um ihre Entsorgungsengpässe in den Atommeilern Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg in den Griff zu bekommen, brauchen die Betrieber nämlich ihre abgebrannten Brennstäbe nicht nach Ahaus zu schaffen. Es reicht, wenn sie ihren Atommüll in Castoren verladen können – ob die dann am Werk herumstehen oder im Zwischenlager in Ahaus, ist dabei völlig egal.

Der Castor als ein mobiles Zwischenlager: Mit diesem Trick könnten Betreiber und Bundesregierung elegant die Zeit überbrücken, bis die Voraussetzung für eine neue Entsorgungspolitik von Rot-Grün geschaffen sind. Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) will die Castortransporte so weit wie möglich vermeiden. Dazu sollen abgebrannte Brennelemente künftig nicht mehr in die zentralen Zwischenlager nach Ahaus und Gorleben gekarrt werden, sondern direkt am Kraftwerk verbleiben. So lange, bis sie nach einigen Jahrzehnten so abgekühlt sind, dass sie direkt in ein Endlager verfrachtet werden können. Dieses Konzept, das von den Grünen stammt, soll unnötige Transporte vermeiden. Denn die Castoren stellen vor allem dann ein Sicherheitsrisiko dar, wenn sie unterwegs sind.

Der Kniff mit dem Castor ist möglich, weil eine Genehmigung für einen Castor-Transport auf zwei Jahre erteilt ist. Das Gesetz sieht vor, dass die Castoren sofort beladen werden dürfen, wenn ein Transport genehmigt ist. Losfahren aber müssen sie dann noch nicht. Und zwei Jahre dauert es im günstigsten Fall, die Genehmigung für ein ordentliches Zwischenlager am AKW, eine Art Halle, zu bekommen, um die Castoren dauerhaft unterzustellen. Die Betreiber von Biblis (RWE), Neckarwestheim (führende Gesellschafter EnBW und Neckarwerke) und Philippsburg (EnBW) haben bereits einen entsprechenden Antrag gestellt. Trittin ist über dieses Entgegenkommen sehr erfreut: „Die Betreiber legen seit Jahresbeginn ein hohes Maß an Konstruktivität an den Tag.“

Möglich ist diese Übergangslösung, weil die Sicherheit des Atommülls durch die Castorbehälter sichergestellt wird. Selbst das Zwischenlager in Ahaus ist nicht mehr als eine bessere Fabrikhalle.

Allerdings ist das Modell nicht auf alle deutschen Meiler übertragbar. Teilweise erlauben die Genehmigungen für die Atomkraftwerke nur eine bestimmte Menge an Radioaktivität auf dem Gelände. Trittin gibt sich kooperativ: „Da werden wir anlagenspezifische Lösungen finden müssen.“ Ziel bleibe es, die Transporte so zu minimieren, dass es irgendwann nur noch Transporte von den Kraftwerken ins Endlager gibt.“

Aus Sicht des Umweltministeriums und des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) gab es keine Möglichkeit, die Genehmigung für die Castortransporte zu verweigern. Mit der Erfüllung der 60 Sicherheitsbedingungen sei „für innerdeutsche Transporte die für die Sicherheit erforderliche Vorsorge getroffen“, erklärte gestern BfS-Präsident Wolfram König. Eine Informationspflicht der Betreiber und eine Datenbank sollen vermeiden, dass die Betreiber es erneut verschweigen können, wenn ihre Castoren stärker strahlen als erlaubt. Sollten die Betreiber doch auf ihren Transporten bestehen, müssten sie allerdings noch sechs Monate warten. Diese Frist verlangt neuerdings die „Kosikern“, ein Gremium der Innenministerien von Bund und Ländern zum Schutz kerntechnischer Anlagen, um den Begleitschutz des Transportes zu gewährleisten. Ursprünglich reichten zwei Monate. Vor einer Entscheidung in den Energiekonsensgesprächen wird es also auf keinen Fall zu neuen Transporten kommen – und auch nicht mehr vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen.

Außer den 15 genehmigten Castoren, je sechs aus Biblis und Neckarwestheim und drei aus Philippsburg, liegen keine weiteren Anträge für innerdeutsche Transporte beim BfS vor. Die Castoren würden normalerweise in drei Fuhren (zwei à sechs und eine à drei) nach Ahaus verfrachtet.

Dafür muss das BfS noch über einen Antrag für den Rücktransport von Atommüll aus Frankreich nach Gorleben entscheiden – der wird vermutlich im Frühjahr noch genehmigt werden. Sieben weitere Anträge liegen für die Transporte abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung nach La Hague und Sellafield vor. Deren Genehmigung dürfte sich aber noch eine Weile hinziehen, weil die „Stachelbehälter“, die französische Castor-Variante, schwerer von Kontaminationen freizuhalten sind.

Trittin forderte die Industrie auf, dieses Angebote anzunehmen und einen Konsens zu suchen. Neue Konflikte um Castortransporte seien auch nicht im Interesse der Stromversorger: „Sie schaden in einem liberalisierten Strommarkt auf Dauer auch der eigenen Geschäftsbilanz.“ Auch die Grünen dürften froh sein, wenn keine Castoren mit Polizeigewalt durch Deutschland geschleust werden müssen. Matthias Urbach