Melancholie und blasses Glück auf Raten

Aki Kaurismäkis „Wolken ziehen vorüber“ und „Universal González“ beim 5. FSK-Filmabend  ■ Von Tim Gallwitz

Der Chefkoch dreht mal wieder durch: Mit dem langen Küchenmesser in der einen Hand, der Schnapsflasche in der anderen versucht er, seinem Drängen nach ungezügeltem Alkoholgenuss Geltung zu verschaffen. Während Portier Melartin (Sakari Kuosmanen) seine Intervention mit einer blutigen Hand bezahlt, gelingt es Oberkellnerin Ilona offenbar mühelos, den Koch zu entwaffnen.

Kaurismäki zeigt uns die beiden Zweikämpfe nicht. Doch der verletzte Melartin, der Klang einer schallenden Ohrfeige und Kati Outinen, die mit Messer und Flaschen zurück ins Bild kommt, lässt uns Betrachter die Leerstellen im Kopf zusammensetzen. Es ist dieses effektverachtende und trockene Understatement, das sich mit den Gesichtern und Gesten von Outinen, Väänänen oder Pellonpää zu jener unverwechselbaren Lakonie verdichtet, die zum Markenzeichen des finnischen Regisseurs geworden ist.

Nach der Arbeit steigt Ilona in die Tram, gibt dem Fahrer, ihrem Mann Lauri (Kari Väänänen), einen Kuss. Man fährt ins Depot, danach nach Haus. Lauri hat einen Fernseher angeschafft, auf Raten: „Wir schaffen das schon...“ Ein kleines Glück. Doch darauf nimmt die neoliberale Moderne keine Rücksicht, die Tram wird „saniert“: Arbeiter werden freigesetzt, darunter auch Lauri. Wenig später verliert auch Ilona ihre Arbeit. Eine Fast-Food-Kette verdrängt das Dubrovnik, dessen Glanz längst verblasst ist. Das Restaurant: nur mehr ein Ort der Nostalgie, der sich nicht mehr rechnet, denn die Gäste, die mit ihm alterten, vertragen kaum mehr die Mengen an Alkohol wie einst.

Blau ist die Farbe von Wolken ziehen vorüber (1996). Und das anfänglich noch warm-goldene Herbstlicht weicht allmählich kühleren Wintertönen, die das Blau der Melancholie in ein Blau sozialer Kälte kippen lassen. Auch wenn sich Ilona und Lauri mit allen Mitteln gegen ihr (Arbeits-)Los aufbäumen – der soziale Abstieg scheint nicht aufzuhalten... Unaufgeregt erzählt Kaurismäki dieses Millionenschicksal, erzählt vom Stolz, der verletzt und schließlich fallen gelassen wird, erzählt von Ausbeutung, von miesen Methoden dubioser Arbeitsvermittler, davon, wie Arbeitslosigkeit auf Selbstwert und ein kleines Glück drückt, vom guten Ende, das nicht typisch ist. Kaurismäki verliert seine Figuren dabei nie. Er verbindet Lakonie mit Wärme, ohne jemals in Sentiment oder Pathos zu versacken.

Angenehm ungefühlig nähern sich auch Universal González den Sinnesorganen. Mit „Das elektronische Chanson“ ist ihr Programm überschrieben – eine Begriffskombination, die keine Gewähr für nichts bietet, aber vielversprechend klingt. Sicher immerhin scheint, dass das Quartett zeitgemäße Analog-Elektronik-Mixturen servieren wird, die sich überall bedienen: in der Geschichtelustiget Geräusche wie der der Melodien.. Eine Annahme, die sich auf die eine bislang veröffentlichte Maxi zu stützen weiß. Diese ist in ein Koordinatensystem sortierbar, dessen musikalischen Eckpunkte irgendwo zwischen Nova Huta, Quarks, Les Robespierres und Console liegen. Ob der Entschluss allerdings, die deutschen Bombast-Discotizer Supermax zu covern, ironisch gemeint war oder nicht, uns kann es egal sein: In der Schilleroper glänzten Universal Gonzalez kürzlich jedenfalls mit einem ungeheuer schüchtern-charmanten Gig.

Für die Ironie-Vermutung spricht zumindest die Beteiligung von Jacques Palminger, der schon die Felle für Dackelblut bearbeitete. An der Stimme erkennen wir Claudia González, das sogenannte „chilenische Goldkehlchen“, dessen Interpretationen – man staune über die wolkenvorüberziehende Koinzidenz – zwischen lakonisch und melancholisch pendeln. Die mitunter lyrischen Texte, von den Hammond-Klängen des Reverend Ch. D. nach Kräften unterstützt, locken Sehnsüchte hervor, die jenseits allen Gemütsmenschentums, dem Diesseits bläuliche Anstriche verleihen. Zwar im Sitzen oder Stehen zu konsumieren, können die Basslinien zu gelegentlichem Wippen, womöglich gar zu ausgelasseneren Bewegungen verführen. Wie das in Kinosesseln zu bewerkstelligen ist, hängt von der Ekstasefä-higkeit des Auditoriums ab. 

heute, 21.15 Uhr, Metropolis