Langweilers Paradies

■ Bei Silvia Armbrusters „König Lear“-Inszenierung in der Shakespeare-Company fällt es vor lauter Karikaturen schwer, die wenigen schönen Momente zu genießen

Bei der Shakespeare Company geht es in die zweite Runde. Nach „Was ihr wollt“ im vergangenen Jahr wird nun Lear auf die Bühne ge-hievt. Oder geschleift. Oder so. Ein guter Zeitpunkt, mal nachzuschaun, ob Neuigkeiten zu vermelden sind, was die Inszenierungspraxis betrifft.

Und zu schaun ist erstmal Lear, wie er inmitten von unerträglichem NewAge-Geklingel auf einem roten Tuch mitten auf der Bühne sitzt. Darauf ist eine goldene Krone zu sehen. Das schon zu Beginn blutig rot erscheinende Tuch ist sein Königreich. Da sitzt er also, der Lear. Erik Roßbander lässt seinen Kopf immer wieder nach vorne fallen. Nicht ganz klar, ob wir uns noch ganz am Anfang befinden oder nicht vielleicht doch schon dort, wo alles vorbei ist. Und Lear im Totenreich in den Schlaf der Gerechten sinkt.

Lear will sich zurückziehen, hat augenscheinlich keinen Bock mehr auf Königsein. „Ich werde Dinge tun, ich weiß auch noch nicht, was“, sagt er und lässt später keinen Kalauer aus. Lear teilt das Reich unter seinen drei Töchtern auf. Doch das geht irgendwie nach hinten los. Die älteren heucheln die eingeforderte Tochterliebe. Allein Lieblingstochter Cordelia verweigert sich. Das ist ein Schlag ins Kontor. Etwas übereilt verstößt Lear sie. Und den einzigen loyalen Gefolgsmann, den Grafen von Kent, verbannt er gleich mit.

Über dem königlichen Haupt baumelt ein Zweig. Die Bühne ist aufgeräumt. Weiße Leinwände, ein paar Durchgänge und ein Boden voll mit braunen Sägespänen. Wie aus Peter Brooks Theaterlabor, aber das muss ja nichts Schlechtes bedeuten. Eher schon irritiert die Aussage der 33-jährigen Regisseurin Silvia Armbruster, ihre „Lear“-Fassung sei als „Hommage an das Narrentum“ zu verstehen.

Gewiss, Shakespeares Globe war eine Art Volksbühne, und „König Lear“ ist ein Narrenspiel. Gemessen an den anderen Königsdramen des Elisabethaners sogar das mit den größten Screwball-Qualitäten. Da wird hintergangen, gefaked, ränkegespielt. Sehr blutig und sehr lustig. Ein schöner Einfall: Cordelia kehrt buchstäblich die Kleider ihres neuen Königs von Frankreich und Gemahls in spe um, macht sich zum Narren. Ähnlich Kent, der sich als kauziger Tage-löhner dem von allen guten und schlechten Geistern verlassenen Lear andient. Beide Figuren ziehen sich mit wenigen Handgriffen in die einzig lebbare Position zurück. Das ist: Narretei, Armut, Wahnsinn. Uta Krauses Cordelia wie Kim Walterskirchens Kent sind in der Lage, diese reduzierte Metamorphose durchzuhalten. Sie spielen Figuren, die sich dafür entscheiden, Typen zu spielen.

Nur kommt in diesem Moment ein Grundproblem vieler Company-Inszenierungen zum Tragen. Wenn nämlich alle Figuren als Karikaturen gezeichnet, ja überzeichnet sind, so dass der Eindruck entsteht, keine von ihnen würde sich selbst ernst nehmen, droht die selbst in den gröbsten Szenen noch feinsinnige Dramaturgie Shakespeares sich in nichts aufzulösen.

Da ist zum Beispiel Edmund. Sebastian Kautz spielt ihn durchaus facettenreich. Doch in einer Szene erklärt er dem Publikum seine Pläne bis ins letzte Detail. Wenn aber die anderen Figuren so wirken, als guckten sie absichtlich weg, um diese Pläne und damit die Handlung am Laufen zu halten, geht jede Spannung flöten.

Streitsüchtig sind die beiden älteren Töchter. Sie zerren am königlichen Tuch herum. Ein schlichtes Bild, mit dem praktisch schon alles gesagt ist. Denn sie zerreißen auch alles andere. Das Reich, die Macht, den Sexgott Edmund. Klappt natürlich nicht, denn schließlich sind alle tot. Eindimensional, weil böse.

Das geht in Ordnung, denn die frühaufklärerischen Figuren Shakespeares – und das sind hier die, die zum König halten – sind die spannenderen. Sie zweifeln, empfinden die Umstände als unerträglich, flüchten sich an die gesellschaftlichen Ränder. Immer wieder ziehen sie über die Bühne. Immer etwas verzweifelter. Sie, die Sehenden, sehen eben auch die Ausweglosigkeit.

Die einzige wirklich hinreißende Szene ist die, in der sich Cordelia, des Narrenkostüms entkleidet, als Cordelia zu erkennen gibt. Weißgewandet sitzen sie da, zwei Kinder. Lear mag's nicht glauben und schneidet sich zum Beweis, nicht zu träumen, in den Finger. Dann bemalt er das Gesicht der Tochter mit Blut, ganz sanft und behutsam.

Überhaupt ist die zweite Hälfte straffer in Szene gesetzt. Tragisches und Komisches gehen dann Hand in Hand. Wenn nicht gerade wieder jemand unmotiviert, aber umso toller herumspringt. Insgesamt einige sehenswerte Details. Zu wenig für drei Stunden Spielzeit. Tim Schomacker

Die nächsten Aufführungen: Heute und morgen sowie am 19. und 24. Februar jeweils um 19.30 Uhr, am 13. Februar um 18 Uhr. Karten unter Tel.: 500 333