„Sie fühlen sich sicherer“

■ Dieter Kleiber, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität, zieht nach drei Jahren Peer-Education an Berliner Schulen eine positive Bilanz des Modellversuchs

Seit 1997 werden an einigen Berliner Schulen Schüler als Peers ausgebildet. Hinter dem Modellversuch, der nun zu Ende geht, steckt die Idee der Peer-Education: Jugendliche sollen in einem bestimmten Bereich – in dem Berliner Fall in der Sexualaufklärung – gestärkt und fit gemacht werden, um dann positiv auf ihre Mitschüler einzuwirken. Dahinter steckt die Idee, dass Jugendliche offener miteinander umgehen als gegenüber Erwachsenen.

In den USA, aber auch in Großbritannien ist Peer-Education seit Jahren gang und gäbe, auch in Deutschland setzt sie sich zunehmend durch.

taz: Drei Jahre lang waren Sie mit der wissenschaftlichen Begleitung eines von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geförderten Modellversuchs zur Peer-Education beschäftigt. Was waren die Motive, den Modellversuch zu implementieren?

Kleiber: In Zeiten knapper Kassen konnte der eigentlich recht erfolgreich verlaufene Modellversuch zur Aids-Prävention an Berliner Schulen nicht mehr weiter finanziert werden. So entstand – übrigens bei einigen Schülerinnen – die Idee, SchülerInnen durch ein kleineres Team von Profis zu schulen, damit sie anschließend in den eigenen Schulen als Multiplikatoren in der Aids-Aufklärung zum Thema Liebe, Sexualität, Schwangerschaftsverhütung tätig werden können. Darüber hinaus waren aber auch demokratietheoretische Überlegungen handlungsleitend: Der Einsatz von Peers knüpft an die Interessen und Stärken der Jugendlichen an und aktiviert diese. Und: Peer-Education ist ein partizipativer, auf Gemeinsamkeit setzender, offener und transparenter Ansatz, durch den Selbsthilfe und Selbstständigkeit Jugendlicher gefördert werden können.

Lässt sich wissenschaftlich feststellen, dass die Peers in ihren Gruppen auch tatsächlich Erfolge erzielen?

Wir haben in Berlin eine international vorzeigbare Datenbasis erstellt, die zu einer recht positiven Bilanz führt. Zunächst einmal war die Ausbildung zum Peer-Educator für die beteiligten Jugendlichen mit einem enormen Gewinn verbunden; ihr Selbstwertgefühl und ihr Wissen stieg; auch wurden ihre kommunikativen und sozialen Kompetenzen gefördert. Schließlich wurden sie beim Umgang mit Problemen gestärkt und wurden sicherer in Bezug auf die eigene Sexualität. Doch auch bei den so genannten Adressaten zeigten sich positive Effekte. Sie diskutierten auch außerhalb der Veranstaltungen häufiger über Liebe, Sexualität und Schwangerschaftsverhütung. Ihre Bereitschaft zur Kondombenutzung stieg, und die Jugendlichen fühlten sich im Umgang mit dem Themenkomplex kompetenter. Das Ziel, Offenheit und Kommunikationsfähigkeit beim Umgang mit Sexualität zu fördern, wurde also weitgehend erreicht.

In den vergangenen Jahren wird das Peer-Prinzip immer häufiger auch auf Konflikt- oder Gewaltsituationen übertragen. An diversen Berliner Schulen sind Konfliktlotsen oder Streitschlichter im Einsatz. Halten Sie das Konzept für übertragbar?

Empirisch ist das nicht überprüft. Im Prinzip aber spricht nichts dagegen, Peers in allen Bereichen einzusetzen, in denen Jugendliche Probleme haben, also auch im Bereich Drogen oder Gewalt. Allerdings muss hier besonders darauf geachtet werden, die Jugendlichen nicht zu überfordern. Gewalt und Aggression entstehen zwar auf dem Schulhof oftmals aus einer konkreten Situation heraus; doch dahinter steht häufiger ein viel größeres Problem, das mit der Sozialisation des Einzelnen, vielleicht auch mit der mangelnden Verantwortung des Staates für die Zukunft der Kinder zu tun hat. Ein singuläres Projekt greift an dieser Stelle jedenfalls mit Sicherheit zu kurz.

Was motiviert die Jugendlichen, die sich zu Peers ausbilden lassen?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt das klassische Helfermotiv, aber auch Informationssuche zu einem persönlich bedeutsamen Problem sowie die Suche nach sinnvoller Freizeitbeschäftigung und das Bedürfnis nach persönlichen und sozialen Kontakten. Manchen ist auch bewusst, dass sie viel lernen können, oder sie hoffen, dass sie in der Klasse oder Schule dadurch eine besondere Position einnehmen. Gerade bei denen, die vor allem soziale Anerkennung suchen, gibt es aber auch die meisten Dropouts – nämlich wenn sie feststellen, dass damit auch eine Menge Arbeit verbunden ist.

Ein immer wieder gehörter Vorwurf an die Peer-Education lautet, dadurch würden Jugendliche von Erwachsenen für deren Ziele vereinnahmt, manipuliert und instrumentalisiert.

Grundsätzlich gilt das so genannte pädagogische Paradoxon: nicht intervenieren zu können. Die Gefahr der Instrumentalisierung Jugendlicher für eigene Ziele dürfte im klassischen Unterricht sogar größer sein. Wenn man die Jugendlichen fragt, fühlen die sich aber nicht instrumentalisiert. In der Praxis ist es auch so, dass sie selbst bestimmen, worüber gesprochen und was getan wird. Außerdem gilt das Prinzip völliger Freiwilligkeit. Jeder kann aussteigen, wann immer er will.Interview: Jeannette Goddar