„Die Mauer ist nicht zum Lachen“

■ Die Hilfsorganisation für die Opfer politischer Gewalt „Help“ hat wegen Beleidigung der Maueropfer Strafanzeige gegen den Regisseur des Films „Sonnenallee“ gestellt. Geschäftsführer Alexander Hussock (58) will keine „Lustspiele an der Mauer“

taz: Normalerweise kämpfen Sie gegen Haftentschädigungen von Stasi-Ministern oder für Entschädigungen politischer Häftlinge. Wieso greifen Sie jetzt in die künstlerische Freiheit ein?

Alexander Hussock: Ja, das sagen Sie so. Künstlerische Freiheit ist gut, aber sie muss auch humanistische Grundprinzipien beherzigen. Der Film mag ja zu 90 Prozent okay sein, aber man kann nicht vor einer Mauer Lustspiele aufführen, an der 255 Menschen ihr Leben ließen, über tausend verkrüppelt wurden und zehntausende in U-Haft gerieten. Ich kann auch nicht jemanden weinen lassen um den Verlust einer Schallplatte, aber nicht um den Verlust seiner Freiheit und Gesundheit. Ich war zusammen mit Verkrüppelten in Haft und da hat keiner den Verlust seines Autos oder sonst was bedauert, sondern seiner Gesundheit und die Haft eben.

Über die Mauer darf man also nicht lachen?

Nein. Wenn man das durchgehen lässt, lachen die Leute auch über Konzentrationslager.

Sie trauen den Menschen nicht zu, zwischen Realität und Satire zu unterscheiden?

Die, die den Film gesehen haben, scheinen überwiegend junge Leute zu sein und die haben nicht das Hintergrundwissen. Die anderen gehen gar nicht erst hin. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn man die Schattenseite einer Diktatur ausklammert und nur die Sonnenseite bringt, die es logischerweise für nicht Informierte gab. Wenn ich nicht wegen Beihilfe zur Republikflucht und Flucht in Haft gekommen wäre, wäre ich vielleicht SED-Mitglied geworden.

Befürchten Sie nicht den Vorwurf der Humorlosigkeit?

Nein, ganz und gar nicht. Da ich nicht so bierernst bin und wir auch gelacht haben im Gefängnis, hätte ich nichts gegen eine lustige Szene in einem SED-Gefängnis.

Worüber haben Sie gelacht?

Wir waren politische und kriminelle Gefangene. Die Kriminellen haben ihre Schwejk-Stücke aufgeführt, wie sie Leute reingelegt haben. Wenn uns ein Aufseher beim Würfeln erwischt und den Würfel weggenommen hat, hat so ein Pfiffikus ihm das Corpus Delicti wieder aus der Jackentasche gezogen. So etwas würde ich noch hinnehmen. Aber die Mauer ist ein Bereich, der nicht zum Lachen ist.

Der Film will doch gar nicht authentisch sein.

Wir zeigen ja auch nicht den ganzen Film an, sondern die Maueropfergruppe fühlt sich beleidigt. Die Angehörigen der Ermordeten stehen bei den Verbänden auf der Matte. Hinter der Kritik stehen unter anderem Klaus-Peter Eich, der seit seinem Fluchtversuch querschnittsgelähmt ist, die Geschwister von Peter Fechter, den man hat verbluten lassen, und andere.

Der Film lief am 7. Oktober vergangenen Jahres an. Wieso erst jetzt die Strafanzeige?

Die Strafanzeige ist schon am 9. November 1999 bei der Justiz eingegangen. Da die jetzt seit über zwei Monaten recherchieren, ist uns klar geworden, dass das als ernsthafte Anzeige angesehen wird. Deshalb haben wir erst jetzt die Medien informiert.

Gab es Versuche, sich mit dem Regisseur zu treffen?

Nein, wir sind so sensibel, dass wir uns nicht mit Leuten unterhalten, die uns nicht liegen. Wir würden es aber nicht verweigern, mit ihm zu diskutieren.Interview: Barbara
Bollwahn de Paez Casanova