Zwischen den Rillen
: Bitchen und Pitchen

Lautsein als Feminismus: Hanin Elias und Ellen Alien

Als Techno begann, war alles sehr einfach. Da es keinen großen Markt gab, gab es keinen Ausverkauf. In seiner Nische bildeten die Technoheads ihre eigene Notgemeinschaft. Als sich der Markt dann doch öffnete, waren Ausverkaufsvorwürfe an der Tagesordnung – und nur die oder der Vorwerfende selbst war noch immer straight, weil man an der genau richtigen Stelle auflegte, produzierte, Drogen nahm, Sex hatte oder irgendwas voll kapiert hatte.

Etwas abseits bei diesem Marktgerangel standen die Heldinnen und Helden des Digital Hardcore Labels (DHR). Sie, so geht die Legende, zockten mit ihrer Band Atari Teenage Riot erst die Plattenindustrie ab, um dann ein eigenes Label, eben DHR, gründen zu können und dort all die Platten veröffentlichen, die der Schweinekapitalismus sich nicht leisten will. Weil Atari Teenage Riot zudem noch sehr erfolgreich sind, gibt es auf dem DHR-Label oft Platten, die, was die Verkaufszahlen angeht, fast niemand braucht: etwa von EC8OR oder DJ 6666.

Oder eben „In Flames“, die neue CD von Hanin Elias. Eine Kakophonie aus einigen wirklich durchproduzierten Tracks, zu denen sich O-Ton-Mitschnitte und Klingklangexperimente gesellen, deren Hauptaufgabe es ist, den harten Auftritt der Atari-Teenage-Riot-Shouterin mit der entsprechenden Coolness zu untermalen. Denn bei den Werken von Digital Hardcore geht es tatsächlich immer nur um die reine, auf den ersten Blick wahrnehmbare Oberfläche. Der gilt ihr gesamter Aktionismus. Für Hanin Elias heißt das: Es wird über Rotzigkeit und musikalisches Auf-den-Tisch-Hauen einerseits und andererseits über das spielerische Vorführen von Mädchenniedlichkeit versucht, eine Art feministische Powerpolitik an die Frau und den Mann zu bringen. Elias übertreibt das Benutzen des Kajalstiftes so sehr, dass sie selbstherrlich tuberkulös aussieht, oder sie lässt sich als Engelchen ablichten. Denn Elias denkt „Politik“ nur mediengerecht, also: in Schlagworten.

Bereits das Lautsein an sich wird für eine inhaltliche Stärke genommen, und die Aussage, feministische Politik machen zu wollen, ist bereits ihr Inhalt. Die Schweine, das sind natürlich immer die anderen. Interessant ist hierbei, dass für die Frauen bei DHR ein eigenes Sublabel namens Fatal gegründet werden musste, denn kämpft man auch Schulter an Schulter gegen das System, Ungerechtigkeit oder Nazis, so scheint es doch andererseits kein Bedürfnis zu geben, auch den Sexismus gemeinsam zu bekämpfen. Vielleicht aber ist es auch ein Teil von Hanin Elias’ „selbstbewusstem“ Feminismus, dass sie und ihre ATR-Kollegin Nic Endo mit Fatal selbst zu Unternehmerinnen geworden sind – und somit auch über die Produktionsmittel verfügen. Hier geht begrifflich vieles durcheinander, Riot und Revolution, Feminismus und Sex, laut und leise. Alles wird einzig durch einen guten Willen überformt und so zu einer Art Message umgeprägt.

Ähnlich verhält es sich mit einem anderen, sich treu gebliebenen Technoprojekt: Bpitch. Ctrl, gesprochen: Bitch-PitchControl. Ellen Alien, die die gleichnamigen Partys in Berlin inzwischen allein veranstaltet und auch das Bpitch.-Ctrl-Label leitet, erklärt den Namen folgendermaßen: „Der DJ ist immer die Bitch, die durchs Pitchen die Kontrolle über das Publikum hat.“ Nur: Wer genau ist hier jetzt wessen Hure? Auch hier eine Verwirrung der Begriffe. Entsprechend hört sich auch der Sampler „Berlin 2000“ an, den Ellen Alien Ende Dezember zu ihrer Silvesterparty im Tacheles herausgebracht hat. Der Anlass Silvesterparty genügte, um so verschiedene Bands oder DJs wie Elektronauten, Rechenzentrum, TokTok oder Art of Kissing nebeneinander zu stellen, und die einzig plausible Begründung für die Veröffentlichung dieser Anthologie kann wiederum auch nur die Silvesterparty sein – denn einige der DJs kommen nicht aus Berlin, andere veröffentlichen nicht auf Bpitch. Ctrl oder sind höchstens einmal auf einer Party aufgetreten.

Dennoch: Berlin und 2000 mussten im Titel stehen, egal, wie sehr mit dieser Compilation nichts weiter als der private Geschmack der Labelchefin abgebildet wird. Und gezeigt wird, dass guter Spaß guter Spaß ist. Gerade das aber macht diese Zusammenstellung, die so viel anderes im Titel verspricht (und wahrscheinlich daher als vermeintlich langweilige Ichwillauchnochwasvommillenniumabhaben-Geschichte gemieden werden wird), so interessant, denn hier wird auf eine merkwürdige Weise zumindest das präsentiert, was den Berliner Clubs Maria am Ostbahnhof, Galerie berlintokyo oder Bastard eigen ist: ein merkwürdiges Durcheinander der Szenen. So sind letztendlich beide Platten trotz ihrer Verwirrtheit beziehungsweise gerade wegen ihrer Gleichgültigkeit den Begriffen gegenüber interessant. Wenn sie auch keine oder kaum eine Bedeutung für den musikalischen Mainstream haben und selbst innerhalb der kleinen, sich selbst als „korrekt“ handelnden Subszenen kaum auf viele offene Ohren treffen werden, dokumentieren sie doch, worum es der Technobewegung einmal ging. Um eine nicht nur selbstzufriedene Art, Spaß zu haben, um einen Politikanspruch, der modern und sexy sein will, und um den Verzicht auf Helden und Stellvertreterstars.

Das ist vielleicht ein politisch konnotierter Hedonismus, politische Kunst ist es nicht. Doch es ist auf jeden Fall eine gute Form von Pop.Jörg Sundermeier

Hanin Elias: „In Flames“ (DHR/EFA) VA.: „Berlin 2000“ (Bpitch. Ctrl/Neuton)