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■ H.G. HolleinArt des Hauses

Das Treppenhaus, das ich jeden Tag bewältige, ist bisweilen eine event-trächtige art location. Wie beiläufig wird hier in einem banalen Umfeld ein interaktiv auf- und absteigendes Zufallspublikum mit dem semiotisch-schillernden Strandgut eines sich ständig erneuernden Mieter-Biotops konfrontiert. Fragen wir uns also nach dem Gehalt, der reinen Dinglichkeit der Dinge, mithin dem, was die Macher mit ihren Ad-hoc-Installationen dem anonymen Adressaten mitteilen wollen. Objekt 1: ein Schuhschränkchen aus hellem Furnier, darauf eine gläserne Blumenvase und eine fischförmige Schale aus Holz. Neben dem leeren, transparenten Symbol des Wachsens und der Natur (Vase) das tiefchristliche Bild (Fisch/Petrus), das noch einmal im leeren Schuhschrank appellativ („Geht hinaus und lehret alle Völker“) gebündelt ist. Das ist ebenso schön wie tief. Objekt 2: ein linker Frauenturnschuh neben drei verwelkten Lilien in schmutzigem Papier und einem durchsichtigen vollen Plastikmüllbeutel vor der Tür von Nachbarin O. und – einen Stock tiefer – ein rechter Biker-Stiefel (liegend) neben der Fußmatte von Nachbar B. Hier werden Eros und Vergänglichkeit, Verlust der eigenen Ganzheit und die Fragmentarisierung der Kommunikation in mehrere Beziehungsebenen sinnhaft erfahrbar. Aber neben dem Melancholischen kommt auch das Provokante nicht zu kurz. Objekt 3: neben einem Ficus im Fenster des ersten Treppenabsatzes ein Henkelgefäß aus altweißer Keramik, vulgo Pisspott, der in seinem zurückgenommenen Aufforderungscharakter (vitrinenartige Aufstellung im Fenstersims) eher zur Reflexion als zum Reflex der Entleerung anhält. Im Hausflur schließlich geleitet einen Objekt 4 – Fahrrad und Kinderwagen vor Kachelwand – in geradezu klassisch-direkter Spiegelung der Profanität des Nützlichen wieder hinaus in den Alltag. Der Eintritt ist frei, Führung nach Absprache, Dauer ca. fünf Minuten.

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