Lehrstück über Zwangsarbeit

■ Zwangsarbeit war „gemeinnützig“ – alle haben davon profitiert / Deswegen wurden die Zwangsarbeiter lange Zeit „vergessen“

Mehrere Generationen hat es gedauert: Jetzt sprechen auch Offizielle über Zwangsarbeit während der NS-Zeit. Das Thema wird wissenschaftlich untersucht, und Entschädigungen und Wiedergutmachungen sind Tagesthema. Über diese späte Übernahme von Verantwortung gegenüber den ehemaligen Sklavenarbeitern ging es am Donnerstag Abend bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus im Rathaus: Cees Ruyter, einst aus Holland zur Zwangsarbeit verschleppt,berichtete von der Plackerei auf der AG Weser in Bremen. Anschließend versuchte der Historiker Götz Aly zu erklären, warum die Aufarbeitung der Zwangsarbeiter-Frage so lange gedauert hat.

Alys These über das lange deutsche Schweigen zum Thema Zwangsarbeit: „Es haben alle indirekt davon profitiert“. So war die Zwangsarbeit angelegt. Ob beim Trümmer wegräumen, oder bei der Straßenbahn – die Arbeit kam der Mehrheit zu Gute. Sogar die Möbel zwangsenteigneter Juden wurden verteilt. Deshalb war die Unterstützung der Bevölkerung so groß, meint Aly.

40 Prozent der Zwangsarbeiter haben in der Landwirtschaft gearbeitet. Ohne sie hätte die landwirtschaftliche Produktion während des Krieges nicht aufrecht erhalten werden können, erklärt Aly. Deshalb fordert er, auch die Bauern müssten in den Bundesfond zur Entschädigung zahlen. „Warum tritt denn der Deutsche Bauernverband nicht bei?“ Gerade dort, in der direkten und kriegswichtigen Lebensmittelproduktion, seien die Zwangsarbeiter Leistungsträger gewesen. Während Deutsche allerdings 2.500 Kalorien täglich zugeteilt bekamen, verhungerten beispielsweise Polen fast bei nur 600 Kalorien. Gleichzeitig wurde aus den besetzten Ländern systematischer „Lebensmitteldiebstahl“ betrieben. Nach schlimmen Bombennächten gab es für die Deutschen Extra-Rationen, „um sie bei Stimmung zu halten“.

Entschädigungsforderungen dürfe man nicht auf die Industrie reduzieren, fordert Aly. Schließlich hat die Bundesrepublik offiziell die Rechtsnachfolge angetreten. Zehn Milliarden Mark „sind ein Anfang.“ Es könne aber sein, dass es mehr werde. Da sei jetzt eine „gewisse Großzügigkeit“ angesagt. Denn alle Entschädigungen könnten nur symbolisch sein.

Neben den wissenschaftlichen Erklärungen Alys machte Cees Ruyter die Geschichte anschaulich. Der ehemalige Zwangsarbeiter lieferte die Details von Lagerleben und Arbeitseinsatz in Bremen (siehe auch Interview, taz vom 28.1.): Zwei Jahre arbeitete der damals 19-Jährige auf der AG Weser für die deutsche Kriegsmaschinerie. Vor allem die letzten Tage auf der Werft „waren eine Katastrophe“: Es gab keine Kohlen mehr, das ganze Lager war kalt. Dreimal am Tag Luftangriffe. Und während andere schon im Bunker saßen, ging die Arbeit auf der Werft noch weiter.

„Es ging so einigermaßen“, sagt Ruyter heute mit einer Distanz von 55 Jahren. Auch weil es ihm als Holländer, der „so ein bisschen germanisch aussah“, in „Ansehen und Unterbringung“ besser ging als vielen anderen Zwangsarbeitern. In der „rassistischen Hierarchie“ standen Franzosen und Belgier „eine Stufe tiefer“. Dann kamen Italiener. Ganz unten Polen und Russen.

Auf Tag und Uhrzeit genau schilderte der 76-Jährige die Jahre als Zwangsarbeiter in Bremen. „Ich habe mehr gelernt, als nötig war“, sagt er. Und empfahl, einen Löffel in der Jackentasche zu haben, falls es irgendwo was zu essen gibt.

Was „heute noch immer weh tut“ aber war die Behandlung nach der Rückkehr in Holland, erzählt er langsam: Da war der Vorwurf, für Deutschland gearbeitet zu haben. Und um heiraten zu können, musste er sich vor dem Pfarrer rechtfertigen: Ob er in Deutschland nicht doch etwa ein Kind gezeugt habe – „das war 1950“. pipe