Kundenschwund im Abschiebegefängnis

■ Erneut ist ein Insasse aus dem Abschiebegewahrsam im neuen Polizeipräsidium in der Vahr geflüchtet / Bei Dunkelheit haben die Häftlinge keinen Zugang mehr zum Aufenthaltsraum

Die Abschiebehäftlinge im neuen Polizeigefängnis in der Vahr scheinen sich nicht besonders wohl zu fühlen: Erneut ist ein Gefangener aus der Abschiebehaft geflüchtet. Die Polizei bestätigte entsprechende Informationen der taz. Der algerische Häftling habe die vier Meter hohe Mauer des Innenhofs erklommen und sich dann unter dem Nato-Draht hindurchgezwängt. Von dem Mann fehlt jede Spur. Der Vorfall hat sich bereits letzte Woche ereignet.

Schon Mitte Januar war ein russischer Häftling auf genau diesem Weg geflüchtet. Allerdings wurde er einige Tage später in Bremerhaven bei einem Ladendiebstahl festgenommen. Der Mann sitzt jetzt wieder in der Vahr ein. Ein dritter Häftling hatte gleichzeitig einen Fluchtversuch unternommen, war aber im Nato-Draht hängengeblieben und erwischt worden.

Das Nachsehen haben die Zurückgebliebenen. Seit dem zweiten Ausbruch hat sich die Aufenthaltsqualität erheblich verschlechtert. Bei Einbruch der Dunkelheit dürfen die Insassen ihren Aufenthaltsraum nicht mehr benutzen – den einzigen Raum mit Fenstern im gesamten Trakt. Der Grund: Von dort aus führt eine Tür direkt in den Innenhof, in dem sich die Häftlinge tagsüber aufhalten dürfen und von wo aus zweimal die Flucht gelang. Häftlinge sollen die Tür im Vorfeld der zweiten Flucht so beschädigt haben, dass sie nicht mehr verschließbar ist. Seit über einer Woche sieht sich die Innenbehörde nicht in der Lage, die Tür reparieren zu lassen. Gerüchten zufolge kommt es zu der Zeitverzögerung, weil sich das Innenressort mit der bauausführenden Firma um die Übernahme der Kosten streitet. Das Innnenressort wollte dies aber nicht bestätigen.

Die Folge: Ab 16.30 Uhr sitzen die Häftlinge seither in dem schmalen Gang vor dem Aufenthaltsraum. Fernseher, Tische und Stühle wurden in den Gang geschafft. Doch während der karge Aufenthaltsraum wenigstens gelüftet werden konnte, ist dies im fensterlosen Gang schwer. Die Klimaanlage sorgt offenbar immer noch für Probleme. So müssen auch weiterhin immer wieder Häftlinge von einem Augenarzt mit Tropfen versorgt werden, weil die Luft zu Reizungen führt. Häftlinge beschrieben die „stehende Luft“ gegenüber einer Flüchtlingshelferin als „verbraucht, stickig und stinkend“.

Der Aufenthalt im Flur wird von einem Polizeisprecher als „Übergangslösung“ beschrieben, die solange anhalten werde, bis die Tür zum Innenhof repariert sei. Am Donnerstag fand eine Begehung des Raumes mit der Baufirma statt. Inzwischen seien Handwerker vor Ort um die Tür zu reparieren. Mittelfristig soll ein Gitter angebracht werden, das die Außentür zusätzlich sichert. Der Schwachpunkt an der vier Meter hohen Mauer sei inzwischen nicht mehr vorhanden, diese Fluchtmöglichkeit somit abgeschnitten, erklärte der Polizeisprecher. Allerdings scheint die Polizeileitung immer noch Zweifel zu haben. Der Zugang vom Aufenthaltsraum aus zum Innenhof ist deutlich eingeschränkt worden. Das gilt schon lange bevor der allnächtliche Einschluss um 21 Uhrerfolgt. Offensichtlich arbeiten die im Hof installierten Überwa-chungskameras bei Dunkelheit nur begrenzt.

Bauliche Veränderungen haben in dem Trakt seit Inbetriebnahme vor nunmehr zwei Monaten nicht mehr stattgefunden. Nach wie vor bewohnen die Abschiebekandidaten vollverkachelte Zellen, die mit Glasbausteinen ausgestattet sind, statt mit Fenstern die man öffnen kann. Eine Zelle im Männertrakt wurde als „Modellversuch“ mit Raufasertapete ausgestattet, zwei im Frauentrakt. Die Flüchtlingshilfe-Gruppe „grenzenLOS“ apellierte zudem erneut an die zuständige Innenbehörde, einen hauptamtlichen Sozialarbeiter für die Betreuung der Insassen zu finanzieren.

Christoph Dowe