Der Modernisierer

Wie aus der Deepness von House und den Soulplatten der frühen Siebziger Minimal Techno wird, und warum produzieren immer auch reduzieren heißt: Ein Porträt des Berliner Musikers Jan Jelinek ■ Von Tobias Rapp

Es gibt viele Arten, sich der schwarzen Musik der frühen Siebziger zu nähern: Man kann die Originale sammeln und ihnen auf Plattenbörsen hinterherjagen. Man kann auch schlicht in Plattenläden gehen und sich die Nachpressungen kaufen. Und es gibt viele Weisen, dieser Musik Reverenz zu erweisen: Man kann sie einfach so auflegen, das ist dann Rare Groove. Man kann sie sampeln und loopen, das ist dann HipHop. Man kann versuchen, sie mit Equipment der heutigen Tage nachzustellen, das ist dann Downtempo. Oder man kann sie bis zur Unkenntlichkeit verändern, das kann dann alles Mögliche sein, denn man merkt es nicht.

Jan Jelinek macht Letzteres. Dass das Rohmaterial seiner Musik irgendwann einmal Roy-Ayers-, Herbie-Hancock- oder Bobby-Womack-Schnipsel waren, muss man wissen, um es zu hören, und selbst dann erkennt man es nicht. Selbst Jelinek weiß oft nicht mehr genau, worauf ein Stück jetzt basiert. Und wenn er es gefunden , die Nadel an den richtigen Akkord gesetzt hat und zum Vergleich den Track seiner Platte spielt, gibt es nur eine vage Verwandtschaft. Zu oft ist der Schnipsel gefiltert und verändert worden.

Es wäre auch nicht weiter wichtig, welche akustische Repräsentationen die Nullen und Einsen im Verlauf ihrer Veränderung durchmachen, bevor sie sich so anhören, wie sie einem entgegenklingen, gäbe es für Jelinek nicht eine weiter gehende Verbindung: Deepness. Eine Tiefe des Klangs und der Intensität, die House als Fortsetzung von Soul mit anderen Mitteln erscheinen lässt.

Jan Jelinek ist Ende zwanzig, kommt aus Darmstadt, lebt seit fünf Jahren in Berlin und trägt eine ähnliche Brille wie Michel Foucault in den späten Sechzigern. Eigentlich würde er gerne Deep House produzieren. Tracks wie die Musik von DJ Pierre, fett, voller Pathos und ohne Kitsch. Eine Musik, die phrasenhaft ist, ohne banal zu sein. Aber Wohnungen in Prenzlauer Berg sind keine New Yorker Lofts und deutsche Texte nicht englisch. Es geht also nicht. In Deutschland nicht und als weißer, heterosexueller Student schon gar nicht. Und nur weil man etwas gut findet, muss man es noch lange nicht selber machen.

So ist Jan Jelineks Musik filigrane Elektronik. Unter dem Namen Farben hat er schon einige EPs veröffentlicht, als Gramm ist es jetzt mit „Personal Rock“ ein ganzes Album. Heroinhouse, minimalistisch und dunkel. Die ganze Platte ist in Molltönen gehalten. Das behaupten wenigstens Leute, die sich mit so etwas auskennen. Jan sagt das relativ wenig, außer dass Moll eher dunkel klingt, während das Gegenteil Dur ist und eher heiter klingt.

Aber selbst Franz Schubert könnte heute keinen Bassschlüssel mehr lesen. Dass das so klingt, wie es klingt, liegt an den Roy-Ayers-Schnipseln. Diese Grundchords sind die Basis der Stücke und die Legitimation für alles, was um sie herum passiert. Und das ist nicht viel.

Ein paar klackernde Beats, eine regelmäßig pumpende Bassdrum. Produzieren heißt reduzieren. Dieses Credo des musikalischen Minimalismus gilt auch für Jan Jelinek und Gramm. Arrangieren heißt hinauswerfen; wenn am Anfang eines Stücks sechs Sounds standen, so bleiben davon dann nur einer oder zwei übrig. Das knackt manchmal wie der kaputte Waldorffilter auf den Platten von Pole, manchmal knistert es auch, das hat den flächigen Minimalismus, wie ihn Basic-Channel-Produktionen haben, und es hat die Gelassenheit von Egoexpress-Stücken.

Am Ende der Platte scheint dann aber doch noch kurz auf, was sich sonst in den Sounds versteckt und in der Latenz bleibt: In einem Hidden Track, einem kurzen Anhang zum letzten Stück, auf den man einige Minuten warten muss, tönt auf einmal instrumenteller Jazzfunk.

Und der ist nicht bis zur Unkenntlichkeit verfiltert, sondern ist selbst nur ein wenige Sekunden langer Schnipsel, der aus Aufnahmen Jelineks mit einem schwedischen Musiker stammt, die schon vor längerer Zeit entstanden sind.

Gramm: „Personal Rock“ (Source Records/Efa)