Wo legt der junge Banker die Serviette hin?

Damit sich künftige Bank- und Versicherungsangestellte nicht danebenbenehmen, wenn sie wichtige Kunden zum Essen ausführen, bringt das Oberstufenzentrum im Hotel Berlin seinen Azubis bei, sich „auf dem gesellschaftlichen Parkett“ zu bewegen ■ Von Kirsten Küppers

Junge Menschen sind Stoffel. Sie tragen diese entsetzlichen Turnschuhdinger aus Amerika und wenn sie sich nicht gerade mit beiden Händen Döner in den Mund schieben, trinken sie egal welche Sorte Bier. Das macht Spaß, kommt aber im Umgang mit dem Kunden schlecht.

Um der Unsitte Abhilfe zu schaffen, bietet Klaus Gehrmann, der Schulleiter des Oberstufenzentrums Berlin, seinen Azubis seit zehn Jahren eine Seminarreihe an. Der Titel: „Der zukünftige Banker und Versicherer auf dem gesellschaftlichen Parkett“. Auch in diesem Jahr gilt die alte Regel: Manierlich soll man sich auf diesem Parkett bewegen und mit Krawatte. Darum musste Klaus Gehrmann zwei Unverbesserliche gleich wieder zum Schlipsholen schicken, bevor im Hotel Berlin der diesjährige Höhepunkt des Benimm-Kurses losgehen konnte.

Um das Problem „Ich gehe mit einem guten Kunden in einem Sternerestaurant essen“ bewältigen zu lernen, haben sich dort am Mittwoch 30 Lehrlinge eingefunden. Die Klasse hatte Schuhe geputzt, Haare hochgesteckt und sah schon recht nach Bankpersonal aus. Schließlich ist die Gruppe schon seit einer ersten Etiketten-Stunde Anfang Januar mit Leopold Bill von Bredow, dem Protokollchef von Bürgermeister Eberhard Diepgen, auf Du und Du.

Um in Zukunft auch zwischen Gänseleberpralinen und Zucchinischiffchen eine elegante Figur zu machen, sitzen die Schüler nun artig auf ihren Stühlen und hören dem Viersternehotelpersonal zu. Ein Küchenchef mit Kochmütze erklärt im Brustton der Überzeugung, was eine Pastete ist.

Dann zeigt ein Oberkellner, der sich launig als „verlängerter Arm der Küche“ vorstellt, wo das Klöppeldeckchen hin muss und dass Servietten bei Männern auf den linken Oberschenkel gehören. Eine Frau von der Firma „Blumenwiese“ bastelt mit Steckmoos teuren Tischschmuck vor. Wer’s billiger haben will, kann Rosenblätter aufs Tischtuch schütteln. Ein Mann mit Lederweste, der alle mit „Liebe Genießer“ begrüßt, ist der Weinhändler. Sein Plädoyer heißt „Trinken Sie viel Wein“. So viel zur Trockenübung.

Jetzt sollen die Lehrlinge selber Tisch decken und Blumen streuen, denn das Hotel Berlin schenkt dem Benimm-Seminar ein viergängiges Menü samt Getränken, das sonst 250 Mark pro Person kosten würde. Eine Sparkassen-Auszubildende hat deswegen den ganzen Tag noch nichts gegessen. „Wir machen das, weil diese Lehrlinge unsere zukünftigen Kunden sind. Sie werden mit ihren Geschäftspartnern hierher kommen“, erläutert Hoteldirektor Till Esser seine Spendierfreudigkeit.

Dankbar und so höflich wie möglich essen die jungen Banker und Versicherer denn auch ihre Appetizer, Cumberlandsoße und Rinderfilets an Waffelkartoffeln. „Ich wusste ja nie, wohin mit meiner Serviette“, meint ein Azubi der Victoria-Versicherung. Er sieht sichtlich froh aus.

Der Oberkellner schaukelt von Tisch zu Tisch und preist die „Fruchtexplosion auf der Zunge“ des Dessertweins an. Er tritt damit eine Diskussion über die richtige Weinlagerung los. Ein junger Mann flüstert trocken: „Meinen Johnny Walker kann ich stehen lassen, wo ich will.“ Auf dem Nachtisch steht ein stacheliges weißes Haarbüschel, unter dem der Koch Vanilleeis versteckt hat. Das Haarbüschel ist aus Zucker und sehr schwer anzufertigen. Stolz schleicht der Chefkoch durch den Saal, um mit rotem Gesicht das Lob dafür entgegenzunehmen. Das bekommt er nicht zuletzt vom Schulleiter Klaus Gehrmann, der zum Abschluss eine Rede hält und in einem anderen Leben Suppenkochbücher schreibt.

Weil Gehrmann weiß, wie entscheidend es ist, auch „Kunden in eine angenehme Gesprächslaune zu versetzen“, setzt er sich beständig für die Manieren der zukünftigen Dienstleister an seiner Schule ein. In einer der nächsten Seminarstunden besucht die Klasse einen Modedesigner in Spandau, der den Schülern näher bringen soll, dass es, seit es in den Banken immer weniger Schaltertresen gibt, besonders wichtig ist, „nicht nur oben gut gekleidet zu sein“.

Bis dahin verdauen die Lehrlinge ein üppiges Mahl. Mit dem Kunden ins Restaurant essen zu gehen, traue man sich jetzt zu, wird überall versichert. Vielleicht habe ich bisher was falsch gemacht, aber mein Sparkassen-Betreuer hat mich noch nie zum Essen eingeladen.