Bundestagspräsident sollte CDU kräftig zur Kasse bitten
: Es geht auch ohne Kohl & Co.

Wenn die CDU untergeht, werden wir Weimarer Verhältnisse bekommen, wird derzeit von rechts wie links warnend der Zeigefinger erhoben. Je nach politischer Couleur wird befürchtet: Extrem rechte und extrem linke Parteien werden Zulauf bekommen. Der Verweis auf Weimar hilft vor allem den Christdemokraten, denn er legitimiert ihre Existenz. Materiell hofft die Union auf Milde. Sie will bei Bundestagspräsident Thierse erreichen, möglichst wenige Millionen zurückzahlen zu müssen. Ideologisch rechtfertigt sich die CDU damit, sie garantiere eine stabile Demokratie und das mache jeden Gesetzesverstoß wett. Doch die Warnung vor Weimar hat eine argumentative Schwäche: Sie will ein System von Großparteien konservieren und geht damit von einem statischen Gesellschaft aus.

Dabei zeigt die Entwicklung der großen Parteien selbst, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert haben. SPD und CDU buhlen um die neue Mitte, weil sie ihre klassische Klientel verlieren. Der sozialdemokratische Stammwähler, der Arbeiter, verschwindet in der Dienstleistungsgesellschaft. Das Feindbild Kommunismus, mit dem die CDU viele Wähler mobilisierte, hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs keine identitätsstiftende Wirkung mehr. Deshalb suchen beide Parteien neue Wähler. Doch wer ist die heiß umworbene neue Mitte? Ein großes ökonomisches Mittelfeld gibt es nicht, denn die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Ein weltanschauliches Zentrum dürfte in einer pluralistischen Gesellschaft kaum so breit sein, dass es zwei Großparteien trägt. Wen repräsentieren CDU und SPD also künftig?

Die Spendenaffäre könnte sich als Katalysator einer Veränderung der politischen Landschaft erweisen. Warum sollte nicht auch eine buntere Parteienvielfalt denkbar sein, in der zum Beispiel Arbeitslose, AusländerInnen oder der Mittelstand ihre eigenen Repräsentanten hätten? Besteht denn keine Chance, die Verkrustung des Systems aufzubrechen? Eines steht jedenfalls fest: Eine Sicherheit vor dem extremistischen Wähler gibt es weder heute noch künftig. Die Angst vor einer neuen Parteienlandschaft offenbart die tiefsitzende Skepsis der Demokraten vor ihrem eigenen System. Wer bei der Vorstellung, die CDU könnte geschwächt sein, sofort das Chaos von Weimar beschwört, der spricht der Geschichte jeglichen Fortschritt ab. Damit wird eine Gesellschaft – und ihr Bundestagspräsident – erpressbar.Isabelle Siemes