Pakistans Generäle lassen ihre Maske fallen

Mit der Entlassung von Richtern, die den Eid auf die Militärregierung verweigern, macht Pakistan nach dem Oktoberputsch jetzt den ersten Schritt zur vollständigen Militärdiktatur

Delhi (taz) – Die Schonzeit für Pakistans Militärregierung ist vorüber. Erstmals seit der Machtübernahme im Oktober 1999 machte sich am Dienstag Kritik bemerkbar, als sechs der dreizehn Bundesrichter, darunter der Oberste Richter Saiduzzaman Siddiqi, den Eid auf den Ausnahmezustand verweigerten. Sie wurden sofort durch sechs neue Richter ersetzt. Ein Befehl zur Eidesabgabe war auch an die Richter der Obergerichte in den vier Provinzen ergangen. Nach Angaben von Menschenrechtlern sollen weitere 15 der 102 Richter den Eid verweigert haben; sie wurden ebenfalls entlassen.

Bisher hatten die Gerichte seit dem Putsch in einem quasi rechtlosen Raum operiert. Der Verfassungsbefehl Nr. 1 vom 15. Oktober hatte die Verfassung suspendiert, sie aber nicht durch das Kriegsrecht ersetzt, sondern festgehalten, dass das Land weiterhin „soweit wie möglich“ der bisherigen Rechtsordnung folgen solle. Dies erlaubte es den Militärs, den massiven Eingriff in die demokratische Struktur des Landes abzufedern. Sie konnten weiter behaupten, die Justiz sei unabhängig.

Diese Fiktion ließ sich nun nicht länger aufrechterhalten. Denn am Montag muss das Bundesgericht einige Petitionen behandeln, die die Verfassungsmäßigkeit des Putsches verneinen und das Gericht zu einer entsprechenden Äußerung herausfordern. Um solche Kritik zu vermeiden, galt es, alle Richter auf die militärische Interimsverfassung einzuschwören. Wer nicht spurte, bekam dies zu spüren: Einen Tag nach der Entlassung von Richter Siddiqi wurde eine Untersuchung wegen Verschwörung und Korruption gegen ihn eingeleitet.

Ein wichtiger Grund für das rasche Handeln von General Pervez Musharraf ist der Prozess gegen den abgesetzten Premierminister Nawaz Sharif in Karachi. Die Verteidiger hatten bei der Prozesseröffnung am Mittwoch beantragt, zuerst das Urteil des Obersten Gerichts über die Rechtmäßigkeit des Putsches abzuwarten. Zwar wies der Richter das Ersuchen zurück. Aber Musharrafs Entschluss, von allen Richtern den Treueeid zu verlangen, ist ein Indiz, dass er sich seiner Sache nicht sicher war. Die Verzögerungen im Vorfeld des Prozesses zeigten, dass sich die Justiz nur widerwillig dem Diktat der Militärs unterordnete.

Die Richter machten mehrmals Verfahrensmängel geltend. Sie kritisierten die Einmischung der Behörden, die Echtheit des Beweismaterials und stellten sogar ihre eigene Zuständigkeit in Frage. Die Kritik an den Militärs wird im In- und Ausland wohl jetzt zunehmen. Einzelne Staaten, darunter die USA und Großbritannien, haben scharf auf die Verhärtung reagiert.

In Pakistan wird befürchtet, dass nun auch die Presse auf Linie gebracht wird. Die Generäle stehen unter wachsendem Druck. Die New York Times hatte am Dienstag berichtet, die US-Regierung habe Beweise, dass die Organisation „Harkat al-Mudschaheddin“ die indische Verkehrsmaschine im Dezember entführt habe und dabei von pakistanischen Militärs unterstützt worden sei. Der stellvertretende US-Unterstaatssekretär Karl Inderfurth habe von Musharraf vergeblich ein Verbot der Organisation gefordert. Außenamtsprecher James Rubin wiederholte die bekannte Auffassung der USA, wonach „die pakistanische Regierung einer Reihe von Gruppen, einschließlich der Harkat al-Mudschaheddin, allgemeine Unterstützung zukommen“ lasse.

Den Beweis dafür lieferte am Mittwoch der bei der Flugzeugentführung freigepresste Harkat-Mitbegründer Maulana Azhar bei seiner Ankunft in Lahore. Schwerbewaffnete Anhänger drangen ungestört in den Flughafen ein und geleiteten ihn durch die Stadt.

Bernard Imhasly