Ein Scheinheiliger in der Toskana

■ Poetisch-erotischer Reigen mit typografischen Sperenzchen: Dagmar Leupold liest heute bei Heinrich Heine aus ihrem Schelmenroman „Ende der Saison“

„Gedanken, die nur im Liegen kamen“ tauchen in seiner Gegenwart auch „mitten am hellichten Tag auf“: Handelt es sich um einen Heiligen? Nicht ganz. Zwar wird der Mann mit der roten Mähne, der sich im September 1997 in einer toskanischen Ortschaft niederlässt, von den Dorfbewohnern „Il Santo“ genannt. Doch sein Haar ist hennagefärbt, seine grünen Augen kontaktlinsencoloriert – und eigentlich ist Santo ein Aussteiger aus Berlin, der auf den profanen Namen Hannes hört.

In Dagmar Leupolds drittem Roman Ende der Saison trügt der (Heiligen-)Schein. So ist dem vermeintlichen Gutmenschen Santo fast gar nichts heilig, weder Privateigentum noch Körperhygiene, noch die Frauen fremder Männer: Die Kindergärtnerin Sara, die Bibliothekarin Cinzia, die 17-jährige Donatella und die Wirtin Anna – sie alle empfängt Santo in seinem Liebeszelt neben der Kirche. Den Reigen erotischer Irrungen und Wirrungen, der damit im dörflichen Mikrokosmos eröffnet wird, hat Leupold zu einem episodischen Erzählgeflecht gesponnen. Aus wechselnden Perspektiven schildert die 44-jährige Münchnerin die entstehenden und vergehenden Amouren – und verknüpft sie mit einem Parallelplot: In Berlin begibt sich die Geschäftsfrau Irene auf eine Toskanareise, die sie schicksalshaft zu ihrem ehemaligen Schulfreund Hannes-Santo führt.

Sprachlich ist das auf hohem Niveau: Der ebenso präzisen wie poetischen Prosa merkt man an, dass die Autorin auch in der Lyrik heimisch ist, und immer wieder darf sich der Leser freuen über genaue Beobachtungen und feine Formulierungen. So liegt eine Schlafende „gestrandet im schwarzen Haartang“, und eine nasse Straße „glänzte wie poliertes Leder“. Daneben findet sich aber leider auch einiger überflüssiger Erzählballast – allen voran die regelmäßigen Einschübe mit selbstreflexiven Kommentaren und Sonderzeichen-Spielchen. Diese typografischen Sperenzchen sind so unoriginell und wirken derart unmotiviert und unbeholfen, dass die Leselust arg leidet. Dabei botschaftet Leupold am Ende: „Lust ist intransitiv.“ Hier jedoch endete das Faible für die frei flottierenden Zeichen in schlichter Beliebigkeit.

Dass Ende der Saison dennoch nicht das Ende der Raison bedeutet, liegt daran, dass dieser Schelmenroman durchaus etwas zu bieten hat: ein scharf eingefangenes und subtil vernetztes Gefüge menschlicher Sehnsüchte und Enttäuschungen, das um die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit kreist. Dabei besticht vor allem Leupolds Kunst, mit wenigen Strichen eine atmosphärische Dichte zu zaubern, die das Geschehen gleichsam schweben lässt: zwischen real und irreal, elegisch und ironisch. Und diese schwerelose Stimmung wirkt weiter, auch nachdem sich das Geschehen am Ende verflüchtigt hat.

Christian Schuldt

heute, 19.30 Uhr, Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstraße 1; Dagmar Leupold: „Ende der Saison“. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999, 224 Seiten, 36 Mark