Gib uns den ultimativen Kickflip!

■ Ein angeblich zwanzig Jahre alter Sport feierte am Freitag im Tower Wiedergeburt: Das Fingerboarding als Miniaturvariante des sonst üblichen Ganzkörper-Skatings

Es ist der dernier cri in Amerika, mit Meisterschaften, Videos von den besten Tricks und Internetseiten. Sehen Sie die daumengroße Ausgabe eines Skateboards, handelt es sich nicht etwa um einen lustigen Schlüsselanhänger mit echten Rollen und „Griptape“, also einem Belag, der vermittels Rauheit Griffigkeit gewährleistet, sondern um ein Gerät, mit dem echte Leute tatsächlich skaten – mit den Fingern. Weswegen die Dinger Fingerboards heißen und die Tricks, die vollführt werden, Olli und Handplant und Grind wie im richtigen Leben – in diesem Fall also wie beim echten Skateboard-Sport. Und genau wie da, sind es auch hier fast ausschließlich Jungs, die durchaus mit gewisser Ernsthaftigkeit den Miniaturparcours beackern – der am Freitag im Tower eine Augenweide war – und die enttäuscht sind, wenn sie einen Flip nicht „stehen“ können. Alles, Sie ahnen es bereits, wie im richtigen Leben, nur in klein.

Sozusagen die Märklin H0-Version oder eher das Pendant zum Tipp-Kick-Fußball: Rampen, Halfpipes, eine Treppe mit Geländer, was einigermaßen wichtig ist, denn darauf kann gegrindet werden, was hier soviel heißt, wie mit den Achsen über eine Kante rutschen. Auch eine Rastplatz-Tisch-Bank-Kombination – im entsprechenden Maßstab – gab es, einschließlich, und das ist das Beste, eines Mülleimers, den nun wirklich keiner der Wettbewerber in seine Kür einbauen konnte oder wollte.

Was war noch wie im richtigen Leben? Leute, die mal wieder eher als alle anderen Bescheid wussten und dir allen Ernstes erzählten, dass es das doch schon vor zwanzig Jahren gegeben hat. Da ist es dann auch bestimmt nicht mehr lang hin, bis es eine alte Schule gibt, die beklagt, dass hier niemand mehr die alten Tricks drauf hat. Allerdings sind die meisten Fingerboarder auch im richtigen Leben Skater, was verhindern könnte, dass die Miniaturversion wesentlich mehr als ein netter Witz wird, auch wenn es in Amerika angeblich schon Profis geben soll, samt Sponsoring und der ganzen alten Leier. Den Anfängen müsste allerdings gewehrt werden, denn im Tower gab's Sponsoring schon. Zwei Fingerboarder hatten nämlich von einem Skater-Shop im Viertel T-Shirts mit Firmenaufdruck bekommen.

Einen nicht ganz unwesentlichen Unterschied gibt es aber doch: Fingerboarding ist ein gänzlich ungefährlicher Sport, wo Eltern um ihre Kleinen keine Angst zu haben brauchen. Die Ermahnung von Moderator Raoul Festante, Hannoveraner Hardcore-Szenist, an einen Fahrer, sich bitte nicht die Finger zu brechen, gemahnte ironisch an diese Tatsache. Naja, einen kleinen Unfall gab es dennoch, als nämlich Ümet bei einer Landung eine Achse seines Boards abbrach.

Dass Fingerboarden ein Sport ist, den man locker auch mit Kippe betreiben kann, bewies ein junger Mann namens Monty, der sogar bei seinen spektakulären Kickflips weiterrauchte. Bei seinem letzten „Run“ feuerte Raoul ihn an: „Los, gib uns den ultimativen Kickflip! Aber stehen musst du ihn schon.“ Schaffte er locker auch mit Fluppe.

Nur ein junger Mann namens Gan sorgte für den wohl einzigen Trick, der nicht aus dem Repertoire des normalen Skatens übernommen war: Eine Pirouette, kurzerhand „Gan-Trick“ getauft, bei der sich Gan mit dem Board in der Hand um seine eigene Achse drehte, bevor er das Brett wieder landen ließ. Damit tat er zu guter Letzt und dem Abend die entscheidende Nuance verleihend einer Tugend Genüge, auf die die alten Skater nun wirklich und vor allem anderen Wert legen: Stil! Andreas Schnell