„Ende der Bequemlichkeit“

Die Grünen wollen Metropolenpartei werden. Zum neuen Berlin haben sie ein recht distanziertes Verhältnis. Die Parteitagsdebatte über den künftigen Weg bleibt diffus ■ Von Dorothee Winden

Die Grünen wollen Metropolenpartei werden, doch das neue Berlin ist ihnen suspekt. Zumindest gilt dies für weite Teile der Partei. Und ein Vorpreschen der Führung wird auch nicht goutiert. Da hatten etwa Fraktionschefin Renate Künast und Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Wachsmuth vorgeschlagen, das diesjährige Pressefest der Fraktion in einer Kneipe am Potsdamer Platz zu feiern. Die hat der „Igelwirt“, so der Parteijargon, eröffnet, in dessen Wilmersdorfer Lokal sich die Aktivisten der Alternative Liste schon in den Gründerjahren trafen.

Die Wahl des Ortes sollte eine Öffnung der Grünen symbolisieren. Doch ließ sich dies auch als Signal verstehen, dass die Grünen am Potsdamer Platz angekommen sind. Eine solche Botschaft wollte die Fraktion dann doch nicht aussenden. Stattdessen fiel die Wahl auf ein Lokal in Prenzlauer Berg. In dem Szeneviertel, der grünen Hochburg im Ostteil der Stadt, bewegen sich die Grünen auf sicherem Terrain.

Die Partei muss ihre Koordinaten neu ausrichten, doch zu abrupten Manövern ist sie nicht bereit. Die Grünen, die noch im Mai 1990 das Baugrundstück am Potsdamer Platz symbolisch besetzten, haben die sterilen Straßenzüge samt Shopping-Mall nie angenommen. „Wir Funktionäre tun uns schwer damit“, stellt Landesvorstandssprecher Andreas Schulze fest. Doch er vermutet, dass viele Anhänger der Grünen weniger Berührungsängste haben. Denn auch das grüne Milieu ist keineswegs statisch. „Wir müssen schauen, was hat sich in unserem Milieu verändert“, sagt Schulze.

Die meisten neuen Mitglieder sind zwischen 30 und 40 Jahren und somit Angehörige einer pragmatischen Generation. Immerhin ein Fünftel der 3.350 Mitglieder ist erst in den letzten beiden Jahren beigetreten. Doch diese Erneuerung an der Basis hat sich noch nicht in der Funktionärsebene niedergeschlagen.

Das ist nur eine der zu lösenden Aufgaben, die ein fünfseitiges Diskussionspapier des Landesvorstandes beschreibt. Unter dem Titel „Herausforderungen annehmen“ umreißt die Parteiführung darin den Weg der Grünen zur Metropolenpartei. Als Berliner Beitrag zu einem neuen grünen Grundsatzprogramm soll ein spezifisch grünes Großstadtprofil erarbeitet werden. Zu den zentralen Themen zählen Toleranz und Integration, Demokratie und Mitbestimmung sowie soziale und ökologische Stadtentwicklung. Konkrete Projekte enthält das Papier jedoch nicht.

Und auch die Debatte bei der Landesdelegiertenkonferenz am vergangenen Wochenende blieb diffus. Dies war zum Teil dem Umstand geschuldet, dass die 150 Parteitagsdelegierten das Vorstandspapier erst als Tischvorlage vorfanden. Da blieb nicht einmal Zeit, es vor Beginn der Debatte zu lesen. Erst in letzter Minute, am Vorabend des Parteitags, hatte sich der Vorstand auf das Papier verständigen können.

Die einen störten sich am Begriff Metropole. Sie sprechen lieber von Großstadt. Umstritten war auch, welches Verhältnis die Grünen zu einem Phänomenen wie der Love Parade finden. Das Techno-Spektakel und das Lebensgefühl dieser Generation ist zumindest den Älteren fremd geblieben.

So beschreibt Landesvorstandssprecher Andreas Schulze den Weg der Grünen zur Metropolenpartei als „Gratwanderung.“ Die Partei müsse sich für Neues öffnen, dürfe sich aber nicht prinzipienlos dem Zeitgeist hingeben.

Der Tiergartener Bürgermeister Jörn Jensen brachte ein Defizit der Grünen auf den Punkt: „Wir selbst sind in der Hauptstadt noch nicht wirklich angekommen.“ Er plädierte dafür, Berührungsängste gegenüber der Wirtschaft abzubauen, ohne sich jedoch zu verkaufen. „Wenn ich denjenigen helfen will, die am meisten auf staatliche Hilfe angewiesen seien, muss ich mit der Wirtschaft zusammenarbeiten“, faßte der Alt-68er seine Erfahrungen zusammen.

Landesvorstandssprecherin Regina Michalik sprach in ihrer Rede die grünen Schwächen unverblümt an: „Das Problem ist, dass unsere Art Politik zu machen, altbacken ist.“ Es fehle an attraktiven Angeboten für neue Mitglieder, sich einzubringen. Viele wollten sich auch nur zeitlich befristet für ein konkretes Projekt engagieren. Der Lösungsvorschlag lautet, Foren zu konkreten Themen einzurichten.

Doch auch die Inhalte müssen überarbeitet werden. „Es bedarf neuer Antworten“, formulierte Fraktionschef Wolfgang Wieland. Die Grünen müssten die „Krise unseres Selbstverständnisses“ als Chance nutzen. „Wir müssen überprüfen, was altbacken ist,“ so Wieland, ohne jedoch Altbewährtes über Bord zu werfen.

Mit der Selbstgenügsamkeit der Alternativen Liste, die in ihren Anfangszeiten mit dem Slogan „Diesmal wählen wir uns selber“ in den Wahlkampf zog, kämen die Grünen nicht mehr weit. Wieland sprach vom „Ende der Bequemlichkeit“.

Auch das grüne Urgestein Michael Cramer stellte fest: „Wir brauchen neue Themen.“ Welche, dazu sagte aber auch Cramer nichts. Vielmehr landete er schnell bei einer alten grünen Frage, für ihn die „Zukunftsfrage“ schlechthin: das Überleben der Erde und der Menschheit. Das klingt nach einer Neuauflage des grünen Alarmismus der 80er-Jahre: Achtung, die Welt geht unter. Doch haben solche Angstszenarien längst an Wirkung eingebüßt.

Selbst Renate Künast, die Parteichefin im Wartestand, hatte inhaltlich nichts Substanzielles beizusteuern. Sie versuchte lediglich, aufs Tempo zu drücken: Nicht erst im Herbst, sondern schon vor der Sommerpause soll der Entwurf eines überarbeiteten Programms vorliegen.

Und auch der Parteinachwuchs vermag noch nicht zu sagen, wo es lang gehen soll. Die 30-jährige Abgeordnete Lisa Paus stellte lapidar fest: „Wir sind in einem Findungsprozess.“