Rechtsextreme vor der Wahl: Wir oder die!

Das norwegische Anti-Rassismus-Projekt „Exit“ hält wenig von Toleranzpredigten

Stockholm (taz) – „Es ist besser Rassist zu sein, als gar nichts zu sein. Lieber gehasst, als gar nicht gesehen zu werden.“ Deshalb, erzählt Sandra, die 18-jährige Norwegerin, sei sie Mitglied in einer nazistischen Jugendgruppe geworden. Die sie nun wieder verlassen hat. Mit Hilfe von und nach langem Kontakt mit „Exit“, einem Netzwerk für Jugendliche, die aus dem rassistischen Milieu ausbrechen wollen.

Norwegen hat nie aufgehört, wachsam gegen nazistische Regungen zu sein. Die bittere Erfahrung aus deutscher Besetzung und weit verbreiteter Kollaboration dürfte Hauptgrund dafür sein. Nach deutlich ansteigenden Neonazi-Aktivitäten zu Beginn der Neunzigerjahre stellte das Innenministerium eine Art „Task Force“ auf. Bestehend aus Forschern, Pädagogen, Polizeibeamten, Sozialarbeitern stehen sie abrufbereit, sollten in einer Schule plötzlich Hakenkreuzschmierereien auftauchen oder in einem kleinen Dorf eine Skinheadgruppe plötzlich ihr nächtliches Unwesen treiben.

„Dann rücken wir an“, berichtet Ronald Petersen, Projektleiter von Exit, „bleiben ein paar Tage vor Ort, machen erst mal eine Bestandsaufnahme.“ Man versucht, sich in Gesprächen mit KommunalpolitikerInnen und LehrerInnen, dem Leiter des Freizeitheims und dem Vorsitzenden des Sportvereins, SchülerInnen und dem sprichwörtlichen Mann auf der Straße ein Bild von der Situation im Ort zu machen.

Bis in alle Einzelheiten werden Aktivitäten, Werdegang und bisherige Biografie jedes Mitglieds der rassistischen Gruppe zusammengestellt, die zum Problem geworden ist, und all derer, die möglicherweise in deren Einflussbereich kommen könnten. Überlegt, was von der offenbaren Attraktion seine Gründe in Familie, Gemeinschaft, Identität, Spannung haben könnte. Und dann nach Ansatzpunkten gesucht. Allgemein, was das gesellschaftliche Leben im Ort angeht, konkret, was jeden einzelnen Rassisten betrifft.

KritikerInnen halten dem Ansatz vor, dass er auf Ausgrenzung basiere. Man dürfe keine Mauer aufbauen, sondern müsse stattdessen alle Türen offenhalten. Ronald Petersen glaubt nicht, dass es ohne solches Ausgrenzen geht. Es gebe Gangführer, die für Ideologie und Gewalt stehen; an die komme man ohnehin nicht heran. Zu anderen könne man einen Weg finden, wenn diese sich klar würden, dass sie sich zu entscheiden haben – zwischen „uns und denen“.

Von einem Studientag in der Schule, von Kampagnen und Toleranzpredigten hält das Exit-Konzept nicht viel. „Daran glauben Politiker“, meint Tore Björgå, Sozialanthropologe und seit 15 Jahren über extremistische Gewalt forschend, „und sprechen dann im nächsten Satz von Flüchtlingen, die keine richtigen Flüchtlinge sind und säen damit erst, was sie bekämpfen wollen.“ Eine zielgerichtete Arbeit helfe mehr als Kampagnen, so Björgå.

Er verweist auf die erfolgreiche Arbeit in einem Osloer Vorort, in dem sich plötzlich eine rassistische Jugendgruppe bemerkbar machte: „Wir schrieben Briefe an alle und hielten Veranstaltungen ab, in denen wir konkret die Gruppe beschrieben: Ihre Ideologie, ihre Art Mitglieder anzusprechen, welchen Status die Gruppe gab, was die lasen, welche Musik sie hörten, welche Symbole sie brauchten. Ganz viele Eltern, die keine Ahnung hatten, was ihre Kinder taten, meldeten sich und jeder erhielt persönlichen Rat.“

Nach diesen Treffen und regelmäßigen Kontakten mit Polizeibeamten und SozialarbeiterInnen hätten immer mehr Gruppenmitglieder die Isolierung von der restlichen Gesellschaft als Belastung empfunden, den schweren Schritt gewagt, aus der Gruppe auszusteigen, hätten direkten Kontakt zu Exit aufgenommen. Björgå: „Das ist ein langer Weg. Viele empfinden danach die große Leere, haben Angst vor Repressalien und haben es schwer, sich in die gewöhnliche Gesellschaft einzugliedern. Aber nur über diesen Weg kommen sie wirklich aus dem Sumpf heraus.“

Reinhard Wolff