Die CDU-Spendenaffäre und ihre Folgen (8): Der Skandal soll Quoten und Auflage bringen. Seine Aufklärung zählt da nur wenig
: Der versteckte Super-GAU

Die Medien sind scheinheilig, weil sie ihre Korrumpierbarkeit tabuisieren

Der Schabernack der Agenturen wird allenfalls als Fußnote in die Geschichte des Parteispendenskandals eingehen. Und doch war es, da hat die FAZ schon Recht, ein „Super-GAU der Berichterstatter“. Denn: Die drei führenden deutschsprachigen Agenturen dpa, AP und Reuters und selbst die honorige Süddeutsche Zeitung haben gierig und ungeprüft die Falschmeldung weitergereicht, Ex-Kanzler Kohl werde nun doch reumütig seine Geldgeber preisgegeben – ohne die Nachricht nach den Grundregeln journalistischen Handwerks gegenzuchecken.

Erstmalig gerieten damit im Parteispendenskandal die Medien selbst ins Visier der Medien. Indes reflektierte auch die FAZ über den „GAU“ nicht etwa in ihrem Leitartikel auf Seite 1, sondern am Ende des dritten Absatzes in einem längeren Einspalter, den sie auf Seite 56 versteckte. Das sagt im Grunde genommen schon alles darüber, wie zahm seriöse Medien mit der eigenen Zunft umgehen – wie systematisch sie ihre ambivalente Rolle im Skandal um die Parteienfinanzierung aus der eigenen Berichterstattung ausblenden.

Gewiss: Dass Medien Schmutz aufwirbeln, dass sie Skandale schonungslos aufzuklären versuchen, dass dabei Reporter wie Hans Leyendecker in akribisch-kriminalistischer Kleinarbeit Puzzlesteine zusammenfügen – das alles ist bewundernswert, und es ist zugleich notweniger Dienst an der Demokratie. Gleichwohl zeigt sich aber auch diesmal: „Man kann einen Skandal nicht ohne Scheinheiligkeit konstruieren“, wie der Schweizer Kommunikationsforscher Romano Gaetano zusammenfasst. Er unterstellt damit 1., dass ein Skandal sich nicht einfach ereignet, sondern auch von den Medien in Szene gesetzt, aufgemotzt, sensationalisiert wird; und 2., dass die Medien dabei scheinheilig agieren.

Prüfen wir die beiden Thesen, so fällt zunächst auf, wie sehr in den letzten Wochen und Monaten das eine Thema nahezu alles aus der Berichterstattung verdrängt hat, was eigentlich „wichtiger“ gewesen wäre. Es dominierte die Suche nach der Herkunft und dem Verbleib von Geldbeträgen, die bei genauerem Hinsehen zumindest der Ex-Chef der Deutschen Bank als „Peanuts“ bezeichnen würde. Berichtenswert wären zum Beispiel die Steuerreform und der Atomausstieg oder die Tarifauseinandersetzungen, bei denen sich so gut wie nichts bewegt, während gleichzeitig die Gehälter der Topmanager ins Astronomische steigen. Da wäre aber auch der Krieg in Tschetschenien, der uns im Gegensatz zum Kosovo nichts anzugehen scheint. Ein grüner Außenminister reagiert darauf jedenfalls mit demselben staatsmännischen Floskelquark, den uns auch Kohl und Kinkel serviert hätten.

Es ist nachgerade paradox: Die Medien haben mehr Platz und Sendezeit denn je. Die Zeitungen sind dicker, die Vielfalt unter den Illustrierten ist größer, die Sendeplätze in Funk und Fernsehen sind zahlreicher geworden. Es gibt neuerdings mit N 24 bereits den zweiten Nachrichtensender. Trotz dieser immensen Expansion der Medien erfolgt die Berichterstattung zusehends monothematisch: Mehr als ein Issue ist offenbar „dramaturgisch“ nicht zu verkraften, wenn Quote und Auflage stimmen sollen. Und so verdrängt das sensationell aufgebauschte eine Thema dann eben alles andere. Ähnliches haben wir bisher nur aus den USA gekannt, als der Prozess um O. J. Simpson und dann das präsidentielle Liebesabenteuer mit Monica Lewinsky über Monate hinweg für Schlagzeilen sorgten.

Kein Zweifel also, auch der Parteienfinanzskandal ist medial inszeniert – mögen ihm auch all die prickelnden Details fehlen, an denen sich eine bigotte amerikanische Öffentlichkeit zu ergötzen vermochte: kein Oralverkehr, kein Zigarrenmundstück in der Vagina. Stattdessen geht es nur um die Erotik schwarzer Köfferchen mit Geldscheinen unbekannter Herkunft.

Womit wir beim zweiten Aspekt angelangt wären. Scheinheilig sind die Medien vor allem deshalb, weil sie ihre eigene Korrumpierbarkeit tabuisieren. In Deutschland redet derzeit niemand davon, wie häufig sich Journalisten Flugreisen sponsern lassen und wie selbstverständlich sie beim Auto- oder Computerkauf ihren Presseausweis vorzeigen, um ein paar Prozent Rabatt mitzunehmen, den Normalsterbliche nicht bekämen. Und keiner fragt, ob die Stargagen, die große TV-Tiere bei Firmen-Galas und anderen Events kassieren, nicht oftmals auch Bestechungsgeschenke sind.

In den USA sind zumindest in qualitätsbewussten Redaktionen längst Vorkehrungen getroffen, um solch schleichender Korruption entgegenzuwirken. „We pay our own way“, heißt es etwa lapidar im „Deskbook of Style“ der Washington Post. Derlei Stilfragen werden bei uns leider anders entschieden – obschon die meisten Medienunternehmen hoch profitabel sind und es keineswegs nötig hätten, sich von anderen aushalten zu lassen.

Scheinheilig ist der Disput um die Parteienfinanzierung aber auch angesichts der dreist-dummen Ungeniertheit, mit der „Besserverdienende“ in aller Öffentlichkeit darüber plaudern, wie sie das Finanzamt austricksen. Steuerhinterziehung ist zum Volkssport geworden. Die Medien sind also auch deshalb scheinheilig, weil sie die Politiker als alleinige Sünder an den Pranger stellen. Das eigentliche Problem – da hat der CDU-Politiker Volker Hassemer Recht – liegt zudem tiefer. Schaden für die Allgemeinheit entsteht sehr häufig dadurch, dass in allen Parteien innerparteiliche Solidarität mit einträglichen Pfründen entgolten wird – und es so immer wieder zur Fehlbesetzung öffentlicher Ämter kommt. Diesen Filz zu durchdringen gelingt allerdings auch „investigativen“ Journalisten nur in seltenen Glücksfällen. Da hilft letztlich nur, was bereits der Ökonom Joseph Schumpeter erkannt hat: ein gelegentlicher Regierungswechsel.

Selbst die seriöse Presse blendet ihre ambivalente Rolle beim Skandal aus

Glaubt man an dessen selbstreinigende Kraft, so war die Wachablösung in der Bundespolitik 1998 überfällig. Es wäre dann aber auch der CDU in Hessen (trotz Spendensumpf) zu wünschen, dass sie noch eine Weile weiter regieren darf – und es käme dem Gemeinwesen zustatten, wenn die Wähler in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern und Baden-Württemberg endlich einmal für einen Machtwechsel sorgten.

Wenn Verkrustungen entgegengewirkt werden soll, bedarf es indes nicht nur in der Politik, sondern auch bei den Medien gelegentlichen Elitenaustauschs. So besehen, ist es vielleicht ein Zeichen demokratischer Vitalität, dass inzwischen nicht nur bei der taz, sondern – zumindest in Berlin – auch bei etablierten Medien Chefredakteure fast so häufig ausgetauscht werden, wie sie in den guten alten Zeiten ihre Hemden gewechselt haben mögen.

Stephan Ruß-Mohl