„Ausgrenzungsstrategie ist ein kindlicher Weg“

Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit hält die Isolierung von Jörg Haider und seiner Partei für einen Irrweg

taz: Soll man mit Jörg Haider reden?

Daniel Cohn-Bendit: Man muss mit Haider reden. Die deutsche Regierung wird gezwungen sein, mit der österreichischen zu verkehren. Aber sie muss der Regierung aus FPÖ und ÖVP zeigen, dass sie nicht mit ihr umgehen wird wie „business as usual“.

Die Zielscheibe muss Schüssel sein. Die Christdemokraten in Europa können die ÖVP aus der Europafraktion ausschließen. Sie müssen von Schüssel fordern, dass die Österreicher, die in der NSDAP und in der Waffen-SS waren, eine moralische Mitschuld am Dritten Reich bekennen. Denn das Koordinatenkreuz Europas wird verändert, wenn jemand in einer Regierung ist und sagt: Eigentlich war das zwischen 1933 und 1945 keine Katastrophe. Das wiederspricht dem Geist der EU. Die EU ist gegründet worden, weil man Lehren gezogen hat. Eine solche Auseinandersetzung hat es in Österreich nie gegeben.

Aber Haiders Äußerungen machen vor allem heute Fremdenfeindlichkeit akzeptabel.

Deswegen muss man sich auch auf der gesellschaftspolitischen Ebene mit Haider auseinandersetzen: Man muss versuchen, diesen Mann vorzuführen. Und das ist schwierig, weil er schlau ist, da kann man auch mal verlieren. Haider wird aber nur dann wieder abbauen, wenn sein Nimbus gebrochen ist. Sein Nimbus ist, dass er sich alles erlauben kann, weil alle Politiker vor ihm Angst haben. Das ist bei der macho-chauvinistisch-autoritären Struktur seines Wählerpotenzials wichtig.

Wenn die Auseinandersetzung nicht ganz so elegant gelingt, hat man ihm ein prima Forum geboten.

Das erzählt man uns seit 15 Jahren, aber das Forum hat er schon lange: als er 8, als er 12 Prozent hatte, jetzt hat er 20: Er ist in allen Medien. Das kann man nicht zurückdrehen. Man muss seine Selbstsicherheit brechen, und das geht nur in der politischen Auseinandersetzung. Wenn man sich in einer medialen Gesellschaft mit einem so fähigen Menschen nicht auseinandersetzt, gesteht man ihm eine Siegerpose zu, mit der er blendend spielen wird.

Die CSU ist der Meinung, die Reps in Bayern gestoppt zu haben, indem sie sie isolierte.

Andererseits hat sich gerade Stoiber für eine Koalition der ÖVP mit Haider ausgesprochen. Für eine Isolation ist es viel zu spät. Die Ausgrenzungsstrategie ist ein kindlicher Weg: Ich will nicht, dass das zu dieser Welt gehört. Die Menschen werden nach Österreich fahren, Haider und die Regierung werden sich normalisieren. Aber sie werden die Rechtskoordinate in Europa wieder einführen, und das ist das Gefährliche: Dann wird die Regierung Berlusconi/Fini folgen können, und dann wird die Regierung Stoiber folgen können, und damit bekommt Europa eine neue Achse. Man wird bei der ersten sagen: Man soll sie in Quarantäne stellen, aber bei den nächsten geht das nicht, das ist eine Verliererstraße.

Was kann die EU machen?

Die EU muss peinlich genau die Maßnahmen der österreichischen Regierung überprüfen. Zum Beispiel der Zuwanderungsstopp. Das ist erst mal das, wovon alle Innenminister träumen. Aber zugleich muss man sehen, ob die österreichische Regierung den Familienzuzug kappen wird. Das widerspricht der Genfer Konvention, das wäre eine Eingriffsmöglichkeit. Das heißt, man muss in einzelnen Maßnahmen überprüfen, wie sich die fremdenfeindliche Dimension der FPÖ niederschlägt.

Wie wollen Sie ihn vorführen, wenn er immer unterhalb der Schwelle des Skandalösen bleibt?

Wenn man öffentlich mit Haider streitet, dann muss man ihn provozieren. Der hat ja das Potenzial des Ausflippens, das muss man rauskitzeln. Und wenn er dann sagt, die belgische Regierung besteht aus korrupten Politikern, dann muss man Schüssel sagen: So, und mit dem wollt ihr koalieren? Interview: Heide Oestreich