Die grüne Parteichefin an der „Grenze des Zumutbaren“

Es wirkt ein bisschen wie im Osten, aber es ist Neuschönningstedt bei Reinbek. Wahlkampf in der Begegnungsstätte, vor 30 Leuten. An der Wand hängt Politlyrik: „Nicht der Spendensumpf, sondern Grün ist Trumpf“, „Mit Grün gehts sauber weiter, statt ein tiefer Fall von der Spendenleiter.“ Die grüne Bundesparteichefin Antje Radcke und Schleswig-Holsteins Umweltminister Rainder Steen-block haben sich in den Ort kurz hinter Hamburg verirrt – grüne Überzeugungsarbeit zwischen Gemeindebücherei und Dreifach-Turnhalle.

Ein paar Leute sind doch noch gekommen, 27 Gutwillige, dazu drei Querulanten, die sich vorher schon lautstark über Atomausstiegspläne erregen und sich von den grünen Kalendersprüchen an der Wand animiert selbst im geschliffenen Wortwitz versuchen: „Wir können ruhigen Gewissens von uns behaupten: Wir sind uns nicht grün.“

Antje Radcke weiß, warum die drei vor allem gekommen sind. Es ist das „überragende Thema“. Nein, nicht die CDU, aber um Geld geht es auch. „Im Wahlkampf werde ich immer wieder auf die Ökosteuer angesprochen, mit der die bösen, bösen Grünen das Benzin verteuern wollen.“

Radcke versuchts mit Argumenten. Sie spricht von „maßvollen Schritten, die wir eingeleitet haben“, stellt Ökosteuer und Rentenreform in Zusammenhänge. Steenblock hilft mit: „Wenn man den Benzinpreis rein nach dem Verursacherprinzip organisieren würde, müssten die Autofahrer längst fünf Mark pro Liter zahlen.“ 27 Leute im Raum brauchen Radcke und Steenblock nicht zu überzeugen – „Antje, ich stehe der Ökosteuer prinzipiell sehr positiv gegenüber“ –, die anderen drei sind zumindest leise geworden. Einer von ihnen traut sich nur noch darauf hinzuweisen, dass „die Bahn bei den Preisen kein Ersatz ist“.

Damit ist man mittendrin in der Verkehrspolitik. Landespolitik ist Thema, die CDU-Spendenaffäre bleibt an diesem Abend zu Hause. Der Umweltminister erwähnt den „volkswirtschaftlichen Unfug Transrapid“ und seufzt: „Wenn in Hamburg die Unterstützung der SPD gegen den Transrapid doch nur annähernd so groß wäre wie bei uns in Schleswig-Holstein.“ Die A 20 habe man nicht verhindern können, gibt Steenblock zu und fügt an: „Man muss auch sehen, dass 95 Prozent im Land diese Autobahn wollen – da stellt man sich als kleiner Koalitionspartner schon die Frage, ob wir da rangehen sollen.“

Steenblock ist kein Marktschreier, eher ein Typ, der bei Sachthemen auftaut. Aber es ist Wahlkampf, und da müssen auch die Superlative ausgepackt werden: Schleswig-Holstein hat die meisten Existenzgründungen, die kleinsten Schulklassen, die geringste Arbeitslosigkeit im Norden, die höchsten Investitionen pro StudentIn – „auch im Bildungsbereich sind wir Spitze“ und beim Biogas, ja, beim Biogas auch.

Als einer im Publikum vorsichtig auf das Pallas-Desaster hinweist, muss aber auch Steenblock von „einer Summe von Dingen, die nicht funktioniert haben“, reden. Die Lehren daraus seien gezogen, die Verantwortung für das misera-ble Krisenmanagement habe jedoch weitgehend beim Bund gelegen.

Wo man gerade bei Dingen ist, die nicht so funktioniert haben, wird abschließend auch noch über den Atomausstieg geredet. Die frische Genehmigung von Atomtransporten – eine Nachricht, bei der auch wohlwollende Grüne die Stirn runzeln. Radcke ist sich dessen bewusst: „So eine Meldung kommt im Moment natürlich gar nicht gut.“ Daher müsse man jetzt noch deutlicher machen: „Wir müssen den Ausstieg hinkriegen.“ Und dann sagt sie noch: Man sei „an die Grenze dessen gegangen, was wir unseren WählerInnen zumuten können“. Peter Ahrens