Allegros und Al Dentes für die Ohren

■ Wir hören das komplette Radioprogramm der Bremer Region an. Im siebten Teil unserer bezaubernden neuen Serie „Du und Deine Sender“: Die Klassik-Welle Radio 3

Die war so viel Radio wie heute. Für jede Zielgruppe gibt es inzwischen mindestens eine Welle. Beim Klassiksender Radio 3 finden die BildungsbürgerInnen ihre Heimat, obwohl sich das Programm an alle wenden will.

Leise tröpfeln die Klaviertönchen aus dem Radiolautsprecher, dann rumsen die Pauken, und die Bläser fallen ein. Wagner? Oder Mozart? Und das am frühen Morgen? Selbstverständlich. Radio 3 sendet Klassik und nichts anderes. In der Frühe hören der geneigte Bildungsbürger und alle anderen die „Overtüre“, mittags das „Divertimento“, und auch die übrigen Sendungen auf Radio 3 tragen elegante Namen, die an einem vorbei rauschen wie die Komponisten, die Herkunftsorte der Orchester und all die Allegros, Al dentes und ähnliche Vokabeln, an die man sich bestenfalls düster erinnert, weil man irgendwann mal deswegen null Punkte in einer Musikklausur bekommen hat.

Warum bleiben die Leute trotzdem dran? Was macht die Welle zu einem derart erfolgreichen Programm, dass es pro Tag fast 400.000 Menschen hören? Ganz einfach: In der Welt der Klassik gelten andere Regeln als bei den Sendern, die ihr Glück mit Phil Collins, DJ Bobo oder Schlager versuchen. Viele schöne Streicher und ein bisschen Schulfunk-Klugheit ist genau das, was überzeugte Klassik-Hörer brauchen.

Im hiesigen Sendegebiet empfing man früher auf dieser Frequenz NDR 3, seit 1998 wird diese Welle als Teil einer Gemeinschaftsproduktion mit dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) und dem Sender Freies Berlin (SFB) ausgestrahlt. Der ORB denkt allerdings jetzt über einen Ausstieg nach. Sie alle brachten, wie dereinst auch Radio Bremen 2, den Menschen all das Schöne, Erbauliche und kulturell Hochwertige näher, das die Deutschen während der Nazi-Barbarei verpasst hatten und was in der Folge zum guten Ton einer bürgerlichen Allgemeinbildung wurde. Dieser historische Bildungsauftrag ist übrigens auch der Grund dafür, dass der NDR zwar ein Sinfonie-Orchester unterhält, aber keine Rockband oder eine NDR-Boygroup, obwohl die sicher auch viele Hörer hätten.

Dieses Orchester kommt natürlich auf Radio 3 regelmäßig zum Zuge, genau wie der NDR-Radio-Chor. Mit Erfolg: Der einstige Nachhilfeunterricht in Sachen Kultur kommt derart an, dass Klassikwellen inzwischen echte Quotenknüller sind. Ein totsicherer Indikator dafür ist die Tatsache, dass in Hamburg und Berlin bereits Klassik-Privatsender senden.

Nun ist Klassik ja nicht gleich Klassik. Es gibt die alte Schule, Leute, die meinen, man dürfe überhaupt nur auf Violinen von anno Tobak konzertieren, und es gibt aufgepoppte Populär-Klassik von Rondo Veniziano und Vanessa Mae. Beide Extreme waren zumindest während der taz-Testhörphase nicht im Programm zu hören. Dafür gab's ganz normale klassische Musik, die auch Opa in seinem Plattenschrank hat, auf vielerlei Arten verabreicht: Meist in einer Art Hitmix, kurze Sätze aus den Werken, ein Best-Of ... aus wechselnden CDs.

Drei Abende pro Woche werden hier aber auch Konzerte in voller Länge übertragen, wobei man sich immer wundert, wie die Dirigenten es schaffen, so pünktlich zu den Nachrichten mit dem Dritten Satz fertig zu sein. Außerdem wird die Musik gern auch als Verwandtschaftsereignis im Geiste der fast vergangenen, familien-gebundenen Kammermusik-Tradition inszeniert, wenn etwa in der Rubik „Musikalische Familien“ ein Vater mit dem Sohne streicht. Und natürlich lernt man in diesem Meer aus weichen Noten viel dazu: Lesungen und Ausstellungen werden en masse gefeatured, und die Rätsel haben Niveau – etwa, wenn gefragt wird, welcher Komponist „Isoldes Liebestod“ aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ komponiert hat.

Bei Menschen, die Dur von Moll nicht unterscheiden können oder eine gepflegte Quarte nicht zu schätzen wissen, will sich da natürlich keine rechte Hörfreude einstellen. Erleben wir hier also den großbürgerlichen Bildungskanon in seiner Radio-gewordenen Form? Wellenchef Wolfgang Knauer hält das für übertrieben. „Unserer Ansicht nach ist Gutes und Schönes nicht für eine gut verdienende Elite da. Wir sind der Ansicht, dass alle Leute so etwas hören sollten.“

Elitär soll das Programm deshalb keineswegs wirken. Die Moderationen sind knapp und kurz, die Infos seriös, werden aber nett verpackt. „Die Leute sollen nicht denken, dass hier die Mitarbeiter mit gepuderten Perücken rumlaufen“, sagt Knauer. Und: „Wir spielen alles von Monteverdi bis John Adams.“ Was so klingt, als würde der Saloonbesitzer freundlich sagen: „Natürlich spielen wie hier alles, Fremder. Wir haben Country UND Western.“ Eine Welt für sich eben. Aber: Während man beim Hören von hektischen Privat- und Jugendwellen das Gefühl hat, dauernd unter Strom stehen und Action machen zu müssen, weil einem das Leben davon rast, vermittelt das ruhige Fließen der Streicher auf Radio 3 eine gewisse zeitlose Ruhe. Man sitzt und lauscht. Und draußen, vor dem Fenster, da rasen all die Adrenalin-Radio-Hörer durch die Straßen und stressen sich, während man auf die nächste Erbaulichkeit wartet – antriebs- und geschwindigkeitslos im Nichts schwebend wie eine Raumstation in der grandiosen Eröffnungssequenz von Stanley Kubricks Film „2001“. Lars Reppesgard

Radio 3 auf Ukw 94.4 Mhz