„Leben heißt Sterben“

Eintracht Frankfurts Millionenkrise passt elegant zu den Spenden-Skandalen der Hessen-CDU ■ Aus Sumpfland Klaus Teichmann

Wenn in Hessen in diesen Tagen plötzlich ein paar Millionen fehlen, woran denkt man da? Prinz Casimir und Weyrauch? Knapp daneben. Die Urheberrechte solcher Assoziationen besitzt immer noch die Frankfurter Eintracht. Als sich deren Clubmitglieder am Montag zur alljährlichen Vereinsversammlung trafen, fehlten auch mal wieder ein paar Millionen, und am Ende des Abends hatten einige Herren ihre Jobs verloren.

„Leben heißt Sterben“ – so hieß es draußen. Natürlich hätte dieses Transparent auch von empörten CDU-Anhängern stammen können. Doch der düstere Existenzialismus galt einer Person: Rainer Leben. Seit drei Monaten ist er Schatzmeister der fußballerischen Dauerkrise namens Eintracht Frankfurt. Und das Misstrauen ist ziemlich groß, seit der Unternehmensberater in schöner Regelmäßigkeit der Mitgliedschaft Lektionen in Sachen neoliberaler Umstrukturierung verpasst.

Kurz nach 20 Uhr vollzog Rolf Heller seine letzte Amtshandlung. Drei bunte Blumensträuße überreichte er den Hockeyspielerinnen, die am Wochenende Europameister geworden waren. Kurz darauf erklärte der Präsident unter Tränen seinen Rücktritt: „Nach dreieinhalb Jahren fehlt mir die innere Kraft. Besonders das letzte Vierteljahr hat sehr weh getan.“ Zuletzt hatte vor allem Frankfurts Sportdezernentin Sylvia Schenk (SPD) Heller öffentlich barsch demontiert: „Rolf Heller ist ein lieber, netter Kerl. Aber er hat seinen Laden nicht im Griff.“ Sichtlich zu viel für einen, der als Kind am Riederwald Frösche gefangen hat.

Nachdem im Herbst Schatzmeister Gaetano Patella ausgebootet und Rainer Leben als neuer Finanzkommissar eingesetzt wurde, ging es im Eintracht-Präsidium drunter und drüber. Zum sportlichen Desaster gesellten sich finanzielle Horrormeldungen. Lebens Bestandsaufnahme in der Roland Koch abgeschauten Pose des rückhaltlosen Aufklärers ergab: 13,6 Millionen Mark Schulden. In spätestens sechs Wochen drohe die Zahlungsunfähigkeit.

Heller habe auf dem „Niveau eines Top-Bundesligaklubs investiert“, obwohl die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vereins“ nicht vorhanden gewesen sei, so Leben und sein Overhead-Projektor. Widersprochen hat den beiden keiner – dennoch wurde der abgetretene Heller mit minutenlangen Ovationen gefeiert. Und Lebens Konzept? Knüpft an altem divenhaftem Größenwahn an: „Wir haben die Wahl zwischen einer Zukunft in der Champions League und der Oberliga.“ Die Eintracht soll in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt werden: „Nur durch Beteiligung eines strategischen Partners kann der Verein wirtschaftlich saniert werden.“ Kapitalbedarf: 25 Millionen, so der Telebörsenspezialist. Nun will er 25,1 Prozent – genau die Sperrminorität, die einem potenziellen Investor das Vetorecht einräumt – des Vereins verkaufen und behauptet, mehrere Interessenten an der Hand zu haben.

Hat er wirklich? Manche spekulieren, Leben sei ein Strohmann des Rechtedealers Kinowelt. Ekkehard Rotter, ehemaliger Landesvorsitzender der bayerischen Grünen und Sprecher der oppositionellen Gruppe Eintracht 2000, zweifelt grundsätzlicher: „Der hat doch gar keinen Investor, sonst hätte er ihn genannt.“ Nanu, das kennen wir doch auch schon: Nennen sie endlich die Namen der anonymen Spender, Herr Leben.

Rolf Heller nahm die erhitzten Debatten bis in die frühen Morgenstunden nur noch stumm auf seinem Podiumsplatz zur Kenntnis. War das noch seine Eintracht? Noch einmal schritt er zum Rednerpult: „Meine Damen und Herren, ich fordere sie auf, nicht emotional abzustimmen.“ Lebens Konzept wurde angenommen, das von Heller stets verkörperte Emotionale hatte endgültig abgedankt. Vorbei die Zeiten, in denen kleine Jungs in Riederwälder Sümpfen Frösche fingen und sich später zum Präsidenten küren ließen.