EU stellt Österreich in die Ecke

14 EU-Staaten drohen bei FPÖ-Regierungsbeteiligung mit Sanktionen. Kommission will als „Hüterin der EU-Verträge“ Österreich scharf beobachten ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Am Montagabend haben sich vierzehn Staats- und Regierungschefs auf gemeinsame Strafmaßnahmen gegenüber dem fünfzehnten Mitglied geeinigt, für den Fall, dass die Koalition aus Volkspartei und FPÖ zu Stande kommt. Dann soll es keine Regierungskontakte mehr zwischen einem EU-Mitglied und Österreich geben. Auch Botschafter werden nicht mehr empfangen, nur noch Arbeitskontakte auf Beamtenebene sind möglich. Österreichs Kandidaten für internationale Spitzenjobs werden von den EU-Regierungen nicht mehr unterstützt.

Derart scharfe Sanktionsandrohungen gegen ein EU-Mitglied hat es noch nie gegeben. Sie konnten nur bilateral, also durch direkte Verständigung aller Mitgliedsländer untereinander, beschlossen werden. „Brüssel“ hat damit nichts zu tun. Der Ministerrat könnte Österreichs Isolierung nur einstimmig beschließen: Dass Österreich Sanktionen gegen sich selbst zustimmt, ist unwahrscheinlich.

Deshalb fiel die Erklärung von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi auch vorsichtiger aus als das Kommuniqué der Regierungschefs. Die EU-Kommission begreife sich als „Hüterin der EU-Verträge“ und werde die neue Regierung Österreichs scharf beobachten, so Prodi gestern Morgen. Tatsächlich sieht der Amsterdamer Vertrag die Möglichkeit vor, die Mitgliedschaft eines Landes ruhen zu lassen, falls Grundsätze wie Minderheitenrechte oder demokratische Grundwerte dort verletzt werden.

Die EU ist nicht zum ersten Mal in dieser Situation. Im Mai 1994 beteiligte der Italiener Silvio Berlusconi die postfaschistische „Alleanza Nazionale“ an seiner Regierung. Aus Sicht von Brüsseler Diplomaten gibt es für die ungleich heftigere Reaktion im Fall Österreich zwei Gründe: Die Halbwertszeit italienischer Regierungen sei bekanntlich gering, zu große Aufregung lohne sich nicht. Im Fall Berlusconi stimmte diese Einschätzung, er blieb gerade neun Monate im Amt.

Bedeutsamer ist ein anderer Umstand: Mit dem Amsterdamer Vertrag hat sich im Mai 1999 der Charakter der EU gewandelt. Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Justiz- und Flüchtlingspolitik werden nun auf EU-Ebene verhandelt. Beschlüsse müssen einstimmig zu Stande kommen – inklusive Österreichs.

Wenn die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in Gedanken durchspielen, welche Themen in den nächsten Monaten auf der Tagesordnung stehen, bekommen sie graue Haare. Eine Regierungskonferenz, die Mitte Februar eröffnet wird und bis Jahresende eine Reform vorlegen soll, die eine EU von 20 oder mehr Mitgliedern handlungsfähig bleiben lässt? Beitrittsverhandlungen mit mehreren Staaten Osteuropas? Zum Thema „Slawen in der EU“ hat sich der Kärtner Landeshauptmann Haider schließlich ausführlich geäußert. Beitreten soll nur, wer europäisches Lohnniveau und europäische Sicherheitsstandards bei AKWs erreicht hat – wegen der Wettbewerbsgerechtigkeit. Übergangsfristen für die Kandidaten soll es geben – ginge es nach Haider, könnten sie gern bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern.

Die Türken vor Wien? Für Jörg Haider kein Tabu – allerdings, das versteht sich für ihn von selbst, nicht mehr in diesem Jahrhundert. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, so klagte der sozialdemokratische Europaabgeordnete Hannes Swoboda gestern, bringe sein Land in die Lage einer Bananenrepublik, mache es zu einem Pariastaat. Allerdings hätte er es lieber gesehen, wenn die EU erst nach Vertragsverletzungen so scharf reagiert hätte.

Tatsächlich wird in Brüssel die Frage aufgeworfen, ob die harte Haltung von 14 EU-Regierungen Österreich nicht in trotzige Isolation treibe. Kaum vorstellbar, dass Wolfgang Schüssel, der mit seinen Außenministerkollegen so viele Nächte auf EU-Gipfeln durchverhandelt hat, am Montagabend aus dem Radio von ihren Sanktionen erfahren hat. Kaum vorstellbar und auch nicht wahr, sagen EU-Diplomaten. Natürlich habe zum Beispiel Joschka Fischer in mehreren persönlichen Gesprächen versucht, den österreichischen Kollegen zu warnen. Erst als das scheiterte, griffen die Regierungschefs nach der roten Karte.