Mädel und Mythos

Die Frau, die nicht eine werden konnte: Das Metropolis zeigt Romy Schneiders französische Filme  ■ Von Georg Seeßlen

Früher hatten die inneren Legenden von Filmstars noch etwas Verlässliches. Sie mussten gefälligst einen Gutteil dessen, was sie auf der Leinwand erzählten, auch im echten Leben erleiden und umgekehrt. Das war manchmal ziemlisch schmerzhaft. Zum Beispiel bei Romy Schneider, die im Kino ihrem Leben entkommen wollte, das seinerseits vom Kino gebildet wurde. Sie war „geboren“ als das österreichisch-deutsche Mädchen, das die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringt, und zugleich in aller Unschuld dafür sorgt, dass alles beim Alten bleibt.

„Ich wollte ein Weltstar werden“, sagte sie 1968 reichlich verzweifelt, „aber ich bin keiner geworden“. Dahinter steckt etwas anderes als nur ein ewiger Mangel an Selbstbewusstsein und -zufriedenheit. Es beschreibt den Fehlschlag einer Flucht. Diese Mischung aus Ehrgeiz und Selbtszweifel, aus Angst und Sehnsucht, das war auch ihr Leinwand-Imago.

In ihren deutschen Filmen spielte Romy Schneider um ihr Leben, das Mädchen, das um ihre Liebe kämpft, um die Erinnerung an den verschwundenen Vater (an dessen Stelle der Wirtschaftswunder-Gewinner getreten war, der die Gagen des jungen Superstars, nun ja, „verwaltete“), um die Allgegenwart der dräuenden Mutter. Romy, das Mädchen, Sissi, die erlösende Unschuld – all das war nicht auf ewig aufrechtzuerhalten. Der Skandal muss-te sie befreien, der Skandal von Kortners Sendung der Lysistrata vielleicht, wo sie sich gleich zweimal verweigert, dem Wesen des Mädchens, aber auch der sexuellen Verfügung. Schon dies konnte ihr das Publikum des Wir-sind-wieder-wer-Deutschlands nicht verzeihen. Die symbolträchtigen Beziehung zu Alain Delon, in der welsche Frivolität nach dem wiedergeborenen Mädel griff, war schließlich Bruch in einer erotischen und in einer nationalen Mythologie.

Romy Schneider versuchte in Hollywood ihr Glück, aber sie war dort eher, wie andere europäische Schauspieler, ein Zitat als dass sie eine feste Rolle hätte entwickeln können. Das eigentliche und durchaus noch einmal skandalöse Comeback für sie war der Film Der Swimmingpool, in dem sie nicht nur wieder mit ihrem ehemaligen „Verlobten“ Alain Delon zusammenspielte, sondern auch erneut in trangressiven, „gewagten“ Szenen. Es geht um eine mondäne, eine kalte Mordgeschichte – radikaler hätte auch der zweite Bruch kaum vollzogen werden können, als Versuch, gegen die Zuschreibung der Opferrolle zu protestieren.

Aber wieder blieb die Revolte stecken. Romy Schneider war von Anbeginn ihrer französischen Karriere dem Kino der „Tradition der Qualität“ verhaftet, allenfalls in Alain Cavaliers Der Kampf auf der Insel kam sie in die Nähe der Nouvelle Vague. Das war insofern bemerkenswert, als Romy Schneider, auf dem Weg vom Mädel in den regressiven deutschen Sissi-Träumen zum „Weltstar“ von einem Kino der alten Männer in ein anderes Kino der (wenn auch nicht ganz so) alten Männer gelangte. Einmal mehr schnappte die Falle von gender, generation und class zu.

Romy Schneider erprobte die verschiedenen Wege zur (bürgerlichen) Frau in ihren französischen Filmen. Sie war die Hure, die Karrieristin, die Luxusfrau, wenn man es böse sagt. Ihre Rollen erprobten Emanzipationsmodelle in einer nicht emanzipierten Gesellschaft. Darum konnte es kaum um etwas anderes gehen als ums Leiden. Sie schien das Unglück förmlich anzuziehen, manchmal überschritt das die Grenze zur unfreiwilligen Komik wie noch in Costa-Gavras Die Liebe einer Frau (1979). In einer ganzen Reihe ihrer Filme nach 1968 ging es um Probleme, die man eigentlich nur noch in einer glücklicherweise untergehenden Klasse vermuten durfte.

Romy Schneider hat mit Orson Welles, mit Preminger, mehrfach mit Visconti Filme gedreht, aber ihr eigentlicher Regisseur war Claude Sautet, mit dem sie in fünf Filmen zusammenarbeitete, in Filmen, die, wie Le monde schrieb, die Schönheit, Zerbrechlichkeit und Lächerlichkeit des Lebens ausdrückten. Seltsame, gealterte Emanzipations- und Gefangenenfilme sind das, Filme, in denen die großen Augenblicke der Befreiung und der Stärke auch schon wieder Momente des Untergangs und des Todes sind.

Romy Schneiders französische Filme von Sautets Die Dinge des Lebens (1969) bis zu Taverniers Der gekaufte Tod (1979) könnten als fortlaufende Chronik einer weiblichen Depression beschrieben werden. Auch ihr Gesicht wurde immer trauriger und ein biss-chen leer. Von Film zu Film war da weniger Gesicht und mehr Maske. Und sie erzählten von einer Gegenwart des Bürgertums zurück in die Vergangenheit, tauchen wie Le Train von Granier-Deferre oder Das alte Gewehr von Robert Enrico in die Zeit des Faschismus, die sich in ihren Augen eher in Melancholie denn in Zorn spiegelt. Auch da war sie die Leidende, wie in der Böll-Verfilmung des Gruppenbild mit Dame, wo man ihr von der „proletarischen Liebenden“ nur den zweiten Teil abnimmt, höchstens.

Am eindrucksvollsten war Romy Schneider als zerstörte und zerstörende Repräsentantin des gehobenen Bürgertums, das sein eigenes Elend nicht versteht. Das, vermutlich, war eine der Ursachen, warum Romy Schneider auch in ihren französischen Filmen von den jungen Filmemachern und Cineasten der 60er und 70er Jahre nicht sonderlich gemocht wurde; sie war in diesen Filmen, und ein wenig wohl auch in der Inszenierung ihres Lebens, eine Repräsentantin jener Schicht des Bürgertums, die sich der Revolte entzog, die in privates Unglück abtauchte, statt ihre gediegenen bis blödsinnig luxurierenden Wohnhöhlen zu verlassen.

Selbst ihre Mainstream-Filme wie die von Claude Sautet (Eine einfache Geschichte von César und Rosalie, die Dinge des Lebens betreffend) erzählen von Lebensüberdruss, von der Unmöglichkeit, als Frau, Mutter und Mensch zu existieren. Die merkwürdige Frage, die sich in ihren Filmen stellt, ist eine der bizarren sozialen Klaustrophobie: Warum zum Teufel kann diese Frau ihr familiäres, soziales und kulturelles Gefängnis nicht einfach verlassen? Es ist, als hätte auf besonders heimtückische Weise das böse Reich der Kaiserin in den Sissi-Filmen in neuer Gestalt doch gesiegt.

Wenn sie nicht die Frau ist, die sich spaltet und spiegelt, so ist sie die unter Einfluss und im Bild. Die Heilige in der pornographischen Welt, wie in Andrzej Zulawskis Nachtblende (1974), die heruntergekommene Schauspielerin, dazu der junge verliebte Fotograf (Fabio Testi), der Ehemann (Jacques Dutronc), der nur noch ihr wirrer Clown sein kann, und dann natürlich Kinski, der „Dämonische“, der ihr Bild erschafft. Das ist einer jener Filme, wie auch Girods Trio Infernal (1973), die noch einmal versuchen, den Skandal als Dialog zwischen Star und Gesellschaft zu nutzen (auch sahen wir in unseren Illustrierten Romy nackt ins Meer schreiten). Aber der Skandal hatte längst seine Funktion eingebüßt.

Und doch bekommen die Romy- Schneider-Filme, nach dem Scheitern von allerlei Revolten, eine merkwürdige Aktualität, vielleicht gerade dort, wo die Zeitgenossen ihr die Gefolgschaft verweigerten, dort wo Romy Schneiders Spiel maskenhaft, außer ihrer selbst wird, wo sie nicht einmal mehr den Weltstar, sondern nur die Trauer um ihr Leben spielt. Romy war immer die Frau, die (noch) nicht eine ist, nicht die Erfüllung einer weiblichen Utopie, sondern Ausdruck versagenden Kontrolle. Die Frau, die an ihrer deutschen Vergangenheit und an ihrer Klasse scheiterte, und die in ihrem Versuch, sich über eine Grenze zu retten, von einem Mädchen, das nichts als seine Ganzheit zu bieten hat, sich in eine Frau verwandelt, die sich im Blick der Männer spaltet. Ihre letzten Filme betonen diesen Aspekt der Spaltungen; Maskierungen, Rückblenden, Doppelrollen wie noch 1981 in Dino Risis Die zwei Gesichter einer Frau bestimmen das Repertoire. Romy Schneider im Kino dieser Jahre ist die Frau, die unentwegt sterben muss und unentwegt in neuen Rollen, neuen Maskierungen wiedergeboren wird.

Romy Schneider verabschiedete sich mit Die Spaziergängerin von Sans-Souci von Jacques Rouffio, zu dem sie selbst den Anstoß nach ihrer Lektüre der Novelle von Joseph Kessel gab. Da hatte sie sich noch einmal gespalten; in die mondäne Frau eines Geschäftsmannes, und in das Opfer im Faschismus, die liebende Frau, die, auch nicht zum ersten Mal in ihren Filmen, eher einen Sohn als einen Mann begehrt. Mehr oder minder verschlüsselte Inzest-Abbildungen sind Romy Schneider-Filme, Versuche über Frigidität, über ein weibliches Begehren ohne Objekt, und hier, nicht an der historischen Oberfläche der Sujets vielleicht, liegt der Kommentar des Romy-Mythos zur deutschen und zur europäischen Geschichte, die Kontinuität des Opfers in der Linie vom Faschismus über die Restauration bis zur Dekadenz der alten Bürgerklasse.

César et Rosalie: Di, 8. 2., 21.30 Uhr+Do, 10.2., 17 Uhr Trio Infernal: Do, 3.2. 17 Uhr+Fr, 4.2., 19 Uhr+Sa, 5.2., 19 Uhr+Di, 8.2., 17 Uhr Der Swimmingpool: Do, 17.2., 17 Uhr+Fr, 18.2. 17 Uhr+ So, 20.2., 17 Uhr+Mo, 21.2., 17 Uhr Nachtblende: So, 20.2., 21.15 Uhr +Mi, 23.2., 19 Uhr+Do,.24.2., 19.15 Uhr+Mo, 28.2. 17 Uhr Abschied in der Nacht: Mo, 21.2. 19 Uhr+Mi, 23.2., 17 Uhr+Fr, 25.2.,17 Uhr Die Bankiersfrau: Di, 22.2., 19 Uhr+Mi, 23.2., 21.15 Uhr+Fr 25.2, 19 Uhr+Do, 27.2. , 17 Uhr, Metropolis