Zivilcourage ist Stadtgespräch

■ Die Bremer Initiative „Zivilcourage“ wird demnächst von anderen Städten übernommem

Es gibt Bewegung in der Stadt. Dieses Fazit zog jüngst Angela Feldhusen, die Initiatorin der seit April 1999 bestehenden Bremer Initiative „Zivilcourage“. Eine Vielzahl von Institutionen hätten die

Initiative in den vergangenen neun Monaten für ihre Sache gewonnen. Von der Volkshochschule über die Stadtbibliothek bis hin zum Berufsbildungswerk des Reichsbunds reiche die Palette derjenigen, die im Rahmen von themenbezogenen Veranstaltungen und Projektwochen eine breitflächige Auseinandersetzung mit dem Begriff Zivilcourage herbeigeführt haben. Vor allem in Schulen sei etwas in Bewegung geraten. Schüler, Lehrer und Eltern seien in einen intensiven Dialog darüber getreten, wie couragiertes Handeln in der Schule gefördert werden kann.

Inzwischen sollen angeblich 30 Prozent der BremerInnen die Initiative kennen. Die Aktion in das Bewusstsein möglichst vieler zu tragen, sie zum „Stadtgespräch“ zu machen, war von Anfang an das Ziel. „Der gewünschte Schneeballeffekt ist eingetreten“, meint Angela Feldhusen. Der Begriff Zivilcourage kursiere in der Stadt. Nicht zuletzt, weil niemand seiner visuellen Präsenz – die von der Hochschule für Künste entworfenen Plakate sind zahlreich – entrinnen kann. Und das Symbol der Initiative – die Trillerpfeife – ist ebenfalls nicht zu überhören. Seit kurzem bekunden sogar andere Städte Interesse an der Idee. München, Kiel und Hannover wollen es Bremen gleichtun und eine Zivilcourage-Initiative ins Leben rufen.

Ausschlaggebend für das Engagement der Lehrerin Feldhusen war letztlich das Erlebnis einer Schülerin in der Straßenbahn. Auf der Fahrt zur Schule wurde das Mädchen von einer Gruppe von Jugendlichen gepeinigt, ohne dass andere Fahrgäste das Geringste unternommen hätten. Dass auf der gesamten Strecke vom Weserwehr bis zum Brill niemand der anwesenden Erwachsenen etwas bemerkt haben soll, konnte sich Feldhusen beim besten Willen nicht vorstellen.

Diese Situation wird den meisten Menschen als eindeutig erscheinen. Eindeutig, weil eine klare Opfer-Täter-Zuweisung möglich ist. Eindeutig ebenfalls, weil das Unrecht in der vorliegenden Situation klar erkennbar ist: Eine Gruppe geht gegen eine Einzelne vor. Doch so leicht ist es eben nicht immer. Und daher wurden in den vergangenen Monaten auch kritische Stimmen laut. Schließlich könne Zivilcourage auch leicht zu einem öffentlichen Denunziantentum verkommen, zu einem perfiden Mittel eine bestimmte Ordnung durchzusetzen.

Im Rahmen des Forschungsprojektes „Sicherheit im Öffentlichen Raum“ wurde Ariane Schorn, Mitarbeiterin an der Akademie für Arbeit und Politik in Bremen, mit diesen – für sie zunächst überraschenden – Einwänden konfrontiert. In den durchgeführten Interviews zum Thema Zivilcourage wiesen eine Reihe von Befragten darauf hin, dass Zivilcourage schließlich keine feste Größe sei, sondern einem gesellschaftlichen und individuellen Wertesystem über Recht und Unrecht unterliege. Ob und wann jemand zu schützen sei, könne nicht eindeutig gesagt werden.

Soll man sich im Bus nun für den vom Rausschmiss bedrohten betrunkenen Penner einsetzen oder für den Busfahrer, der diesen Fahrgast als unangenehm empfindet? Soll man sich in einer solchen Situation überhaupt irgendwie verhalten, oder geht einen das erstmal gar nichts an? Wäre es Zivilcourage gewesen, wenn man die „legendären“ Silvester-Einbrüche im Viertel gestoppt hätte, oder wäre ein Eingreifen dem Handeln einer von staatlicher Obrigkeit instrumentalisierten „Stadtteilbürgerwehr“ gleichgekommen?

Viele Fragen, die – wenn auch nur im Rahmen eines Forschungsprojekts von einer Minderheit formuliert – zeigen, dass die Kampag-ne kontrovers diskutiert werden kann. Angela Feldhusen zeigt sich jedenfalls eher erfreut, dass sich so etwas wie eine Streitkultur über Sinn und Unsinn der Initiative zu entwickeln scheint. Gleichzeitig hält sie die politisch-ideologische Ebene, auf dem einige der Befragten ihre Bewertung vornehmen, für eine Stufe zu hoch. tav