Village Voice
: Wem die Stunde nicht schlägt

Demonstrative Innerlichkeit und provozierender Wimpismus: Mit ihrem ersten Longplayer „Tell Me When“ zeigt sich die ehemalige Wohnzimmerband Contriva noch immer sehr resistent gegen Neue-Mitte-Hysterien

Wer viel Zeit hat, so ein altes Sprichwort, dem schlägt keine Stunde. Berücksichtigt man, dass es die Berliner Band Contriva schon seit mindestens vier Jahren gibt, hat sie sich für „Tell Me When“, ihren ersten richtigen Longplayer, viel Zeit gelassen. Und das hört man den Songs auch an – Ruhe und Bedächtigkeit sind hier die Mutter aller schönen Klänge, Contriva scheinen so was wie ein Zeit-Raum-Kontinuum nicht zu kennen.

Doch natürlich gibt es auch handfeste Gründe dafür, dass bei ihnen alles ein bisschen gemächlicher zugeht: Da gibt es zum Beispiel Mina, die Band, in der die beiden Contriva-Mitglieder Hanns Lehmann und Masha Qrella eine nicht unwichtige Rolle an Gitarren und Keyboards spielen. Mina veröffentlichten letztes Jahr ihr Debütalbum „Kryptonite“ und waren schwer damit beschäftigt, es nicht nur in Deutschland, sondern auch auf den Inseln und in Italien zu promoten und zu bespielen.

Dann kommen Contriva aus einer Szene, in der man es sowieso nicht so eilig hat mit Plattenveröffentlichungen oder gar dem Berühmtwerden. Diese Szene tummelte sich in den letzten Jahren vor allem in abbruchreifen Häusern, Wohnzimmern und illegalen Bars und erwies sich von hier aus als ziemlich resistent gegen Hysterien um Berliner Republiken und neue Mitten und auch gegen freundliche Übernahmeversuche seitens größerer Plattenfirmen.

Und schließlich wissen die vier Bandmitglieder nur zu gut, dass es nicht so einfach ist, seinen Lebensunterhalt allein mit Musik zu bestreiten; auch Jobs und Studium müssen da noch irgendwo im großen Zeitplan untergebracht werden.

Hört man nun „Tell Me When“, ist man zuerst ein wenig enttäuscht: Da erklingt nichts, was man von Contriva nicht schon auf ihren kleineren Vinylveröffentlichungen oder ihren schönen, oft sogar stürmischen Livekonzerten kennen würde.

Im Gegenteil, die Band scheint mit Songs wie „On The Porch“ oder „Cool Out For Summer“ sogar noch einige Gänge zurückgeschaltet zu haben. In was für einer Welt leben die denn? Hat sich die Idylle in der Slowakei, wo Contriva dieses Album aufgenommen haben und die sie auch per Cover-Art dokumentieren, dermaßen auf die Stimmung der Musik ausgewirkt? Ein paar Kicks könnten es doch sein, ein bisschen mehr Dampf, vielleicht auch mal ein paar Lyrics. Doch es dauert nicht lange, und dann haben die Songs einen, dann entfalten sie ihren Zauber und ihren Charme, dann möchte man jeden von denen ganz fest in Herz und Arme schließen und nicht wieder hergeben.

Das fängt zuerst an bei „Sure Enough“, dem letzten Song des Albums, und durchzieht dann von vorn nach hinten und wieder zurück das gesamte Album; Songs wie „Until Recalled“ oder eben „Cool Out For Summer“ liegen da plötzlich mit „Sure Enough“ locker im Wettstreit um die schönste Melodie der Welt.

Frühe Stereolab treffen auf späte The Sea And The Cake auf der Grundlage von Sounds und Songs, wie man sie in den mittleren Achtzigerjahren bevorzugt in England oder Neuseeland gehört und produziert hat. Doch eigentlich fällt es sehr schwer, diese Musik (und auch die von Mina, mit denen Contriva nicht immer in einen Topf geworfen werden wollen, was nicht nur wegen der personellen Verstrickungen ein nicht leichtes Unterfangen ist) in die richtige Gesellschaft zu bringen. Zu weit stehen die meisten der Songs auf „Tell Me When“ über profanen Deutungsversuchen, zu dominant ist ihre Schönheit, zu selbstverliebt sind die, zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Aufrütteln oder gar die Welt verändern tut diese Art von Popmusik nicht gerade. Wer aber Widerstand bevorzugt in Form von demonstrativer Innerlichkeit oder provozierendem Wimpismus artikuliert, ist bei Contriva genau richtig. Gerrit Bartels

Contriva: „Tell Me When“ (Monica/Indigo)