Rechtsradikale Tischfähnchen

■ Die Mailbox ist tot, aber das Geschäft mitder rechten Jugendkultur blüht auch online

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat akribisch gezählt. 330 Internetseiten haben deutsche Rechtsextremisten ins Netz gestellt – zehnmal mehr als 1996 –, und ein knappes Viertel von ihnen enthalte strafbare Inhalte, warnen die Verfassungsschützer. Doch diese Zahlen allein sagen wenig darüber aus, was deutsche Rechtsradikale im Netz treiben. Die Anfangseuphorie mancher Neonazis mit Computerkenntnissen hat deutlich nachgelassen.

Als im März 1993 der Mailboxenverbund „Thule-Netz“ an den Start ging, schwärmten seine Initiatoren um den Erlanger Thomas Hetzer (Pseudonym: Alfred Tetzlaff) noch in der Szene davon, eine breite Öffentlichkeit per Datennetz mit rechter Propaganda zu beglücken. Zudem sollte das Thule-Netz den zersplitterten deutschen Rechtsextremismus zusammenführen und zum Schaufenster des braunen Lagers werden. Verschlüsselung, so hoffte man, werde geheime Kommunikation einfacher und sicherer denn je machen, der Draht zu Boxen im Ausland internationale Kontakte pflegen.

Kaum eines der Ziele ist erreicht worden. Der Mailboxverbund hat sich gespalten, nur im Internet lebt Thule mit einer Homepage fort. Führend waren von Anfang an auch Aktivisten aus der zweiten Reihe der Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD, beteiligt. Sie hatten schon in den frühen 90er-Jahren mit eigenen Seiten im Btx-System der Post experimentiert – an den digitalen Anstrengungen dieser ältesten Partei der deutschen Rechtsradikalen lassen sich Erfolge wie auch Schwierigkeiten der Szene mit dem neuen Medium besonders deutlich erkennen.

Bald nachdem die erste NPD-Homepage am Netz war („der Aufbruch“ vom Kreisverband Augsburg) trommelte die Partei ihre jüngere Klientel zu Internetseminaren zusammen, und der 1996 frisch gewählte Vorsitzende Udo Voigt propagierte die „elektronische Vernetzung der europäischen Nationalisten“. Zwar hat noch lange nicht jedes Kreisbüro einen Netzanschluss. Doch nirgendwo marschieren heute NPD-Anhänger – als „Nationaler Widerstand“ verkleidet –, ohne dass die Partei zuvor per Internet mobilisiert hätte, unterstützt von verwandten Homepages, die nicht formal an die Partei gebunden sind – etwa die Seite „Perspektive“ oder der großspurig als „Nationales Informationszentrum Deutschland“ auftretende Hamburger Neonazi André Goertz.

Parteileitung und die Köpfe so genannter Kameradschaftenverbreiten rund zwei Monate vor größeren Veranstaltungen ihre Aufrufe. Es folgen Tipps und Infos – Rufnummern für Mitfahrgelegenheiten etwa. Wird eine Veranstaltung verboten, hält das Internet die Anhängerschaft über rechtliche Schritte auf dem Laufenden und gibt bis kurz vor der Aktion Anordnungen („Halten Sie in Ihren Bussen zu der Ihnen bekannten Telefonnummer Kontakt und befolgen Sie alle Anweisungen des NPD-Koordinators“).

Zwar hat das Internet (im Newspeak vieler Neonazis: „Weltnetz“) keines der gängigen Mobilisierungsmittel (Fax, Flugblatt, Infotelefon, Presse und informelle Szenekontakte) überflüssig gemacht, aber es ist das optimale Instrument, um kurzfristig Genehmigungen, Verbote von Aktionen und Alternativveranstaltungen bekannt zu machen. Von laufenden Aktionen pflegt die NPD, mitunter im Halbstundentakt, Fotos und Berichte einzuspeisen – für Presse und Daheimgebliebene.

Auch in technischer Hinsicht ist die NPD Vorreiter in der Szene. Im Februar 1997 erhielt sie eine eigene Domain, seit April des Jahres tritt sie als Provider auf. Beide Schritte haben Nachahmer gefunden. Denn das Internet öffnet Rechtsextremisten neue Wege in die Lebenswelt von Jugendlichen. Das ist umso bedeutsamer, als sich mittlerweile mehr als nur Ansätze einer jugendlichen Gegenkultur von rechts etabliert haben, zu der Websites ebenso wie Neonazi-Musik gehören und die überwiegend in den neuen Bundesländern beheimatet ist.

Etliche (bei weitem nicht alle) Net-Nazis spielen gekonnt mit Mailinglisten, Gästebüchern und Chaträumen auf der Internetklaviatur. So etwa die Homepage des Skin-Musikmagazins „RockNord“, herausgegeben vom rheinischen Rechtsaußen-Yuppie Torsten Lemmer. Printausgabe und Homepage hangeln sich mit Bedacht an der Grenze zwischen Strafbarem und rechtlich nicht zu greifender Symbolik entlang – die Empfehlungen für Härteres liefert nur das Gästebuch. Manche Seiten enthalten MP3-Dateien mit rassistischem Liedgut, Hörprogramme wie das Radio Nord liefern Samples der neusten Skin-Produktionen. Für einen Schreiber im „RockNord“-Gästebuch zählt die monatlich erneuerte Sendung „zu den geilsten Seiten im Internet“.

Torsten Lemmer, der – ähnlich wie der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey – Rechtsextremismus mit Kommerz verbindet, weiß auch in digitalen Welten Kasse zu machen. Die „RockNord“-Homepage verweist auf einen Onlinekatalog mit Produkten aus seinem Haus, der fast alles anbietet, was das rechte Skinheadherz höher schlagen lässt (etwa ein schwarzweißrotes Tischfähnchen).

Woran das Thule-Netz scheiterte, das hat das Internet verwirklicht: Es ist ein Schaufenster des Rechtsextremismus, in dem heute die ganze heterogene Bandbreite der Szene zu besichtigen ist. Dazu zählen Intellektuelle und im Jargon bedächtigere Neurechte wie die Zeitschrift Staatsbriefe (Hans-Dietrich Sander), Parteien, Runenzirkel, Nazischnulzen, Skin-Rock und Geschichtsverdreher vom Schlage Zündels. Manche dieser Seiten dümpeln isoliert vor sich hin, die meisten sind durch Links verbunden und tragen so zur nationalen und internationalen Vernetzung der deutschen Szene bei.

Über die Breitenwirkung lässt sich nur spekulieren. Verlässliche Nutzungsdaten gibt es nicht. Aus den Sphären dessen, was nur am windigen Bahnhofskiosk oder unter der Ladentheke zu haben ist, sind rechtsextremistische Schriften jedenfalls heraus – ein für alle Mal. Thomas Pfeiffer

Thomas.Pfeiffer-2@ruhr-uni- bochum.de