„Dann ist auch Deutschland ein Naziland“

Helmut Zilk, Ex-SPÖ-Minister und Ex-Bürgermeister von Wien, über die Reaktionen auf Haider. Zilk hat 1993 bei einem rechtsradikalen Briefbombenanschlag einen Teil seiner linken Hand verloren

taz: Sind die ausländischen Reaktionen auf die Regierungsbildung übertrieben?

Helmut Zilk: Ich will vorausschicken, dass ich die 30 Jahre sozialdemokratischer Regierung genossen habe. Ich trauere dieser Zeit nach und bin sehr unglücklich über das Wahlergebnis und das Scheitern der alten Koalition. Ich verstehe die Kritik des Auslands. Kritik ist heilsam und wichtig. Die Frage ist nur: Wo beginnt Kritik überzogen zu werden? Sicher nicht dort, wo man Haider wegen seiner Aussprüche kritisiert, sondern dort, wo die gesamte österreichische Bevölkerung in Geiselhaft genommen wird. Man spricht von einem Naziland. Das ist nicht nur überzogen, das ist skandalös. Dann ist Schweden ein Naziland, denn dort werden viele Menschen von einer großen Anzahl randalierender Nazis terrorisiert. Dann ist Deutschland ein Naziland, denn dort werden jüdische Friedhöfe geschändet. In Wien ist noch kein Asylbewerberheim abgebrannt und kein Asylant erschlagen worden.

Die Reaktionen können ja nicht allein auf Einflüsterungen des ehemaligen Bundeskanzlers Viktor Klima & Co zurückzuführen sein, wie die FPÖ behauptet.

Es sind Mechanismen der modernen Informationsgesellschaft, der Überinformationsgesellschaft und der oberflächlichen Informationsgesellschaft. Kettenraktionen.

In anderen Ländern lässt man Parteien wie die FPÖ nicht an die Regierung. Die Kritik richtet sich wohl auch gegen den ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der Haider nun salonfähig macht.

Die Partei des Haider ist sicher eine Partei der besonderen Art. Haider ist ein rechter Politiker. Haiders Stärke mag auch an manch innenpolitischem Ungenügen liegen. Denn er ist ja nicht durch ein Wunder groß geworden, sondern durch Stimmzettel. Wenn jemand 1,3 Millionen Wähler hat, kann man nicht einfach darüber hinwegsehen. Die Kritik an Schüssel ist berechtigt. Nur: Ganz Österreich zu verurteilen ist nicht aufrechtzuerhalten. Ich habe als Unterrichtsminister das Jüdische Museum und die jüdische Mittelschule gegründet. Ich bin einer der besten Freunde des ehemaligen Jeruslemer Bürgermeisters Teddy Kollek. Aber ich käme nicht auf die Idee, Israel als Ganzes zu verurteilen, weil in der Zeit des Regierungspräsidenten Netanjahu die Araber von ihrem Land verjagt worden sind.

Was würden Sie dem Bundespräsidenten, der entscheiden muss, ob er diese Regierung angelobt, empfehlen?

Eine Regierung mit allen Parteien, denn der Präsident muss aus der Schlinge heraus. Nur wird er die Zustimmung von der FPÖ und der ÖVP nicht bekommen. Daher wird das aussichtlos sein. Man könnte hoffen, dass Schüssel sich zurückzieht und aufgibt. Das wird er aber nicht tun. Diese überzogene Kritik führt ja zu Solidarisierungsmechanismen. Die dritte Möglichkeit wäre die Auflösung des Nationalrats. Aber das kann er nicht, wenn er eine solide Mehrheit gegen sich hat. Das wäre ja so was wie ein Staatsputsch. Wie ich ihn kenne, wird er versuchen, Zeit zu gewinnen. Nach dem Motto: Vielleicht nagt die Zeit an den beiden. Aber wenn sie hart bleiben, wird er einen beauftragen müssen.

Droht nun eine Katastrophen-Regierung?

Durchaus nicht. Die stehen unter Erfolgsdruck. Schüssel ist kein Schwachsinniger, und Haider ist ja leider Gottes ein machiavellisches politisches Naturtalent: intelligent, gebildet, belesen, mehrsprachig. Ich glaube, dass sie durchaus in der Lage sind, angenehm oder unangenehm zu überraschen. Unangenehm, für die, die erwarten, dass es nach 14 Tagen aus ist.

Die ehemalige Frauenministerin Johanna Dohnal hat vor ein paar Tagen gemeint, jetzt wäre die Gelegenheit für die SPÖ, sich wieder zu positionieren.

Sehr gescheit. Die Oppositionsrolle ist für die SPÖ eine einmalige Chance. Während der Alleinregierung der ÖVP (1966 – 1970) ist bei der SPÖ in Opposition ein Kreisky entstanden. Seit 1979 gibt es sozialistische Bundeskanzler. Die Opposition hat ja auch der SPD und der Labour Party nicht geschadet. Mehr sozialdemokratisches Profil würde der Partei äußerst gut tun.

Interview: Ralf Leonhard