Kommentar
: Wahnsinn in Wien ■ Der Hass auf die Sozis treibt die Volkspartei zu Haider

Im internationalen Vergleich rangiert Österreich im Spitzenfeld der Selbstmordstatistik. Suizid scheint in der Alpenrepublik eine der bevorzugten Formen der Konfliktbewältigung zu sein. So auch jetzt in der Politik. Mutwillig und ohne Not treibt die politische Klasse in Wien das Land in die Katastrophe. Österreich wird zum Paria. Solange die rechtsextreme Partei des Jörg Haider an der Regierung sitzt, wird Österreich im gesamten Westen isoliert, in Europa marginalisiert sein. Geächtet. Österreich allein zu Hause. Man kann es personalisieren: die blindwütigen Kanzler-Ambitionen des ÖVP-Chefs und Außenministers Wolfgang Schüssel; der unbedingte Wille zur Macht des Kärntner mínimo líder Jörg Haider. Gewiss. Aber das genügt nicht zum Verständnis des Trauerspiels.

Kein ÖVP-Politiker, der noch vor kurzem eine schwarz-blaue Koalition ausgeschlossen hat, steht gegen den fatalen Schüssel-Kurs auf. Kein namhafter Industrieller oder Funktionär eines Wirtschaftsverbandes schreit auf. Im Gegenteil: Da werden der geplanten Regierung Vorschusslorbeeren gespendet – genau wissend, welchen politischen und ökonomischen Schaden das Land erleiden wird.

Was passiert da im bürgerlichen Lager? Offenbar hat der Hass des österreichischen Bürgertums auf die Sozis, die seit dreißig Jahren die Regierungen dominieren, jeden vernünftigen politischen Gedanken verscheucht. Endlich kann man sich für die lange Erniedrigung durch die „Proleten an der Macht“ rächen.

Und sei es, dass die ganze Nation in Geiselhaft genommen und offen gegen die Staatsinteressen agiert wird. Man ist an alte marxistische Analysen erinnert, in denen das österreichische Bürgertum als verantwortungslose „Lumpenbourgeoisie“ charakterisiert wurde. Eins ist allerdings sicher: Statt eines nationalen Schulterschlusses gegen das feindliche Ausland, wie Schüssel und Haider wollen, wird Österreich eine politische Polarisierung erleben, die sich gewaschen hat – eine fundamentale Repolitisierung, die dieses Land ohnehin dringend nötig hat. Und wenn der Fall Österreich dazu beitragen sollte, aus der EU auch eine wirkliche Wertegemeinschaft zu machen und die politische Integration Europas zu befördern, dann hat der schwarz-blaue Wahnsinn zu Wien auch etwas Gutes.

Georg Hoffmann-Ostenhof

Auslandschef beim Wiener Magazin „Profil“