Themenläden und andere Clubs
: Im „Mai 3D“-Land

Wie man aus Langeweile Kapital schlägt

Letzten Freitag. Im Soda-Club in der neuen Kulturbrauerei feiert man die Party zur neuen Shift!-Ausgabe, zur Einstimmung lesen Judith Hermann und Gregor Sander aus ihrem Textbeitrag. Alle sind da! Naja, zumindest ist das Zigarrenzimmer (vulgo: Lounge) des Soda-Clubs gefüllt. An den Wänden Tapeten, die gold gestreift sind, davor ein DJ auf einem roten Sessel, das Design irgendwie antik, der DJ im Anzug. Auf dem Kopf balanciert er einen Zylinder, sein Plattenspieler ist ein Grammophon, das er ankurbeln muss wie einen Rasenmäher, der Sound ist entsprechend. Die Anwesenden sind sehr durstig und kennen exotische Cocktails.

Der Barkeeper kommt mit dem Mixen nicht nach, sieht aber sehr gut aus. Dann der Auftritt Hermann und Sander. Für die Shift!-Ausgabe „Doubletake“ haben sich die befreundeten Autoren auf das gewiss sensationelle Experiment eingelassen, 24 Stunden in der Wohnung des/der anderen zu verbringen. Verrückt! Ganz allein in die ungewohnte Umgebung geworfen, kommen den beiden Probanden im Dienste der Literatur allerlei existenzialistische Gedanken, die tiefe Erfahrung eines unbestimmten Gefühls des Fremdseins. Schlimm! Der Judith fehlt die Hutschachtel mit den Briefen der Großeltern, Gregors Mitbewohner hört Oasis, Gregors Zimmer ist karg, in Judiths Zimmer steht ein Klavier und an der Wand in roten Lettern das Wort „SALON“. Als hätte man es nicht geahnt. Bevor sie ihre Wohnung verlässt, hört sie für gewöhnlich Keimzeit. Sagt Gregor. Unsere Bestseller-Autoren!

Andererseits ist die Fähigkeit, selbst aus den belanglosesten Dingen Kapital zu schlagen, schon bewundernswert. Es gibt offenbar eine ganze Anzahl Leute – und es werden immer mehr –, die ihr Geld damit verdienen, unsagbar langweilige Dinge zu erleben und sie in unschlagbar langweiligen Sätzen festzuhalten. Ich bin begeistert!

Ich liebe zum Beispiel „Mai 3-D“. Eine Art Tagebuchroman dreier Autoren (Daniel Haaksman, Alexa Hennig von Lange und Till Müller-Klug), die für dieses Werk einen Monat lang ausgegangen sind und nichts erlebt haben. Gar nichts. Man könnte natürlich einwenden, es sei alles erfunden, also absichtlich handlungs-, spannungs- und pointenfrei, aber das glaube ich nicht. Das ist alles so erlebt. Ganz bestimmt. Das muss man lesen. Wenn mal wieder nichts passiert, greift man sich einfach das Buch und denkt: So ist das Leben. Allen geht es so. Auch ich bin eine „Mai 3-D“ Figur.

Auch ich höre in der U-Bahn Geräusche, die mich an wichtige Rare Groove-Compilations erinnern. Ich sitze oft auf einer Schaukel im Mauerpark und überlege seitenlang, ob ich mir eine Cola kaufe oder nicht. Ich lege mir, bevor ich ausgehe, Teebeutel aufs Gesicht. Nein, so weit ist es noch nicht. Stornieren wir diese Gedanken.

Harald Peters