„Es ist nicht so wichtig, dass jeder alles versteht“

Snowboard-Olympiasiegerin Nicola Thost lernt sich auch durch Schweigen zu verkaufen

Garmisch (taz) – Es sind schlechte Tage für Nicola Thost, die Halfpipe-Olympiasiegerin, beim ISF-Weltcup auf der Zugspitze oberhalb Garmisch-Partenkirchens. Und das liegt nicht an der erbärmlichen Zuschauersituation auf dem Zugspitzplatt. Sondern daran, dass sie nicht mitmachen kann. Sie hat sich das Kreuzband gerissen. Mit einer Bandage hat sie es anfangs versucht. Aber es ging nicht. Jetzt muss sie operiert werden. Wieder so ein Zugeständnis, das Nicola Thost, 22 Jahre alt, Zweite der Halfpipe-Weltrangliste hinter der US-Amerikanerin Kim Stacey, machen muss.

Zugeständnisse mag sie eigentlich gar nicht. Nicola Thost ist in vielen Dingen ein Dickschädel, und vor allem ist sie gewohnt, nach eigenem Gusto zu handeln. Trainer zum Beispiel will sie keinen: „Ich brauche keinen Hampelmann, der mir sagt, wie es geht.“ Nicola Thost mag sich nichts diktieren lassen. Grenzen, Beschränkungen, pfui. Sie ist Snowboarderin, Freestylerin genauer gesagt, was man mit Künstlerin übersetzen könnte, und als solche ein Freigeist, jemand, der auf eigene Kreativität und Eingebung setzt.

Aber es gibt eben Dinge, denen man sich auch als Freigeist der Piste beugen muss. Verletzungen zum Beispiel, die heilt auch der kühnste Trotz nicht. Aber auch die Konventionen des Sportgeschäfts.

Vor zwei Jahren nämlich ist Nicola Thost Olympiasiegerin geworden. Was fast ein Unfall war. Nach Nagano war sie gekommen, ohne den Stellenwert des Ereignisses richtig einzuschätzen. „Ich habe mir keine Gedanken gemacht, was die Auswirkungen eines Sieges sein könnten“, sagt sie. Aber das hat sie dann zu spüren bekommen. Nicola Thost gewann, bekam Gold um den Hals gelegt und war berühmt. An diesem Februartag in Nagano hat ihr freies Sportlerleben aufgehört. Mit ihrem Namen und ihrem Olympiatitel werben Veranstalter für ihre Wettkämpfe. Sie wird herumgereicht und befragt, befragt, befragt. Zu allem, was das Snowboarden hergibt. „Der Beruf Olympiasiegerin spielt sich vor allem in den Medien ab“, sagt sie, „man steht da als Sprachrohr für einen ganzen Sport.“

Nicola Thost hat ihr neuer Ruhm viel Geld eingebracht, Einladungen in Fernsehsendungen, neue Sponsoren. Sie musste sich einen Manager nehmen, weil die Dinge allein nicht mehr zu bewältigen waren. Vor allem aber hat sie mehr denn je Verantwortung für ihre eigenen Worte lernen müssen. Immer wieder ist es ihr passiert, dass sie einem Reporter die komplizierte Welt des Snowboardens erklären wollte, ihre Gefühle auf dem Brett, die Lebensanschauung, die sie vermutlich wirklich hinter ihrer Schneesurferei sieht. Und dass die Reporter es nicht kapierten. Vorurteile und Klischees in ihre Bewertungen einbauten, und aus ihrer, Nicola Thosts Sicht ein falsches Bild von ihr und ihrem Sport schufen. Daraus hat sie ihre Konsequenzen gezogen. Dass sie nicht mehr nur fröhlich und frei snowboarden kann, dass sie Termine zu erfüllen hat, dass sie bisweilen verfügbar zu sein hat, wie jede junge Geschäftsfrau, hat sie akzeptiert. Und auch, dass sie bei gewissen Gepflogenheiten des konventionellen Sports mitspielen muss. Fragen nach ihrer Form beantworten, besonnen reagieren auf harsche Kritik laienhafter Journalisten und Munkeleien, wenn sie mal nicht so gut abschnitt. Und eben als Dozentin herhalten müssen für das große Ganze des Snowboardens. Sie hat sich Standardantworten zugelegt.

Auf die Frage nach ihren sportlichen Zielen sagt sie zum Beispiel immer: „Mein Ziel ist es, verletzungsfrei zu bleiben und gesund und mich weiterzuentwickeln.“ Sie hat sich überlegt, dass es gar nicht nowendig ist, alles allen erklären zu müssen. Sollen halt ein paar Lücken bleiben. Na und? „Es ist doch nicht so wichtig, dass jeder das weiß.“

Das muss sie nicht beliebter machen. Aber sie hat rhetorisches Talent genug, um immer noch ausreichend zu erzählen, ohne dass sie alles preisgibt. Außerdem gibt es Wichtigeres. Den Sport selbst. Zu Olympia 2002 in Salt Lake City will sie, um das Flair der Spiele nicht nur so nebenbei in einem hektischen Vier-Tage-Trip zu atmen, sondern auch bewusst. Vor allem aber, und das zählt für sie mehr als alle Titel und Weihen, die sie in ihrer Karriere noch erlangen wird: „Ne gute Snowboarderin sein.“ Thomas Hahn