Schneller Ausstieg ist juristisch möglich

Begrenzung der Laufzeiten – Enteignung oder Bestimmungdes Inhalts von Eigentum ? Schröder meidet solche Rechtsfragen

Freiburg (taz) – Bundeskanzler Gerhard Schröder geht in die heutigen Atom-Konsensverhandlungen, ohne seine verfassungsrechtliche Ausgangsposition offenzulegen. Klar ist nur die politische Linie, auf die sich die rot-grüne Koalition festgelegt hat: Danach sollen die AKW-Laufzeiten auf 30 Jahre begrenzt werden, wenn es nicht zu einer anderweitigen Vereinbarung mit den Betreibern kommt. Was juristisch für möglich gehalten wird, hat die Regierung dagegen noch nicht verbindlich erklärt. Auch über die Verfassungsfragen will man offensichtlich erst mit den Betreibern verhandeln.

Eine Arbeitsgruppe aus vier Staatssekretären sollte sich eigentlich bereits bis letzten September auf eine gemeinsame juristische Linie einigen. Unter Federführung von Umweltstaatsekretär Rainer Baake (Grüne) sind auch Wirtschafts-, Justiz und Innenressort an der Prüfung beteiligt. Doch bislang liegen keine offiziellen Ergebnisse dieser Gruppe vor, lediglich ein Gutachten des Bundesumweltministeriums. Dort hat der Frankfurter Rechtsprofessor Erhard Denninger eine Laufzeitenbegrenzung von 25 bis 26 Jahren für rechtlich zulässig erklärt. Bei Anlagen, die schon älter sind, müsse es noch eine Übergangsfrist von ein bis drei Jahren geben.

Im Justizministerium, das über eine eigene verfassungsrechtliche Fachabteilung verfügt, scheint man diese Fristen allerdings für zu gering zu halten. Offiziell geben jedoch weder das Kanzleramt noch das Ministerium von Herta Däubler-Gmelin (SPD) Auskunft über ihren juristischen Standpunkt. Nicht einmal zur Frage, ob es sich bei der nachträglichen Begrenzung von AKW-Laufzeiten überhaupt um eine Enteignung handelt, wird Position bezogen.

Nach Ansicht der AKW-Betreiber ist eine Laufzeitbegrenzung als Enteignung einzustufen, wenn nicht mindestens 35 Volllastjahre gewährt werden. Zählt man Reparatur- und andere Stillstandszeiten hinzu, kommt man schnell auf reale Laufzeiten von über 40 Jahren. Für einen schnelleren Atomausstieg fordern die Betreiber deshalb Entschädigung. Der HEW-Vorstandschef hat Summen von bis zu 35 Milliarden Mark genannt.

Das Denninger-Gutachten bestreitet jedoch, dass überhaupt eine Enteignung vorliegt. Vielmehr würde mit einem Ausstiegsgesetz lediglich der Inhalt des Eigentums neu definiert. Dafür spricht, dass die Meiler den Betreibern schließlich nicht weggenommen werden. Auch gelten die Restriktionen im Rahmen einer neuen Energiepolitik für alle bestehenden und noch zu bauenden Anlagen und nicht nur für einzelne Kraftwerke.

Allerdings sind auch mit dieser juristischen Grundposition Entschädigungszahlungen nicht generell ausgeschlossen. Wenn zu massiv in bestehende Rechte eingegriffen wird, muss ein finanzieller Ausgleich geleistet werden. Dieser wäre dann aber niedriger als eine Entschädigung bei Enteignung. Für die Bundesregierung, kommt jedoch auch ein solcher Ausgleich nicht in Betracht. Sie will den Atomausstieg so abwickeln, dass keinerlei Schadensersatz an die Betreiber zu zahlen ist.

Deshalb muss auch dann, wenn man den Atomausstieg als neue Inhaltsbestimmung des Eigentums versteht, über Restlaufzeiten geredet werden. Eine solche „Übergangsregelung“ dient nun aber nur noch dazu, Härtefälle auf Betreiberseite zu vermeiden. Eine volle Ausnutzung der mit einem AKW verbundenen Gewinnerwartung kann so juristisch nicht gerechtfertigt werden.

Bei der Bestimmung der minimal erforderlichen Restlaufzeiten ist ein „angemessener Ausgleich“ zwischen den Interessen der Betreiber und denen des rot-grünen Gesetzgebers zu finden. Dabei wird der Atomausstieg laut Koalitionsvertrag damit begründet, dass aufgrund „der großen Sicherheitsrisiken die Gefahr unübersehbarer Schäden“ bestehe – gerade in der dicht besiedelten Bundesrepublik. Dieser Rechtfertigung für einen möglichst schnellen Atomausstieg könnte sich auch das Bundesverfassungsgericht kaum entziehen. Es darf nämlich nicht die Wertung des Gesetzgebers durch eine eigene ersetzen, sondern nur überprüfen, ob dessen Sichtweise „vertretbar“ ist.

Für einen schnellen Atomausstieg spricht außerdem die noch völlig ungelöste Entsorgung des Atommülls. Je länger die Übergangsfristen, desto mehr strahlende Altslasten entstehen. Nach dem rot-grünen Verhandlungsangebot können manche AKWs noch bis zum Jahr 2018 Strom und Strahlenmüll erzeugen. Christian Rath