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Endlich raus aus der Frauenkiste

Was tun, wenn dieFirma Familienplanung für überflüssig hält und Frauenförderung alsBenachteiligung der männlichen Kollegen gilt? Coachen, lautet die Antwort. Zunehmend beraten Frauen Firmen und nehmen so – ganz nebenbei – Einfluss auf die Besetzung der Chefetagen. Hintergründe über die Gleichberechtigung per Beratervertrag von Michaela Kirschner

Schwanger. Nein, nicht alle. Aber fünf Mitarbeiterinnen sind es. Der nicht schwangere Ältestenrat der Steuerkanzlei Strumberger tagt. Was tun? Die halbe Kanzlei auf einmal – ein schwarzes Jahr! Aber auch ein gutes, sagt Peter Strumberger. Er lacht und erzählt, wie es weiterging. „Zusammengesetzt“ habe er sich mit den Frauen und „getüftelt und gemacht“. Eine perfekte Logistik wurde ausgearbeitet: Wer kommt wann wieder? Wer kann nach der Geburt wie viel arbeiten und wo? Acht, sechs oder vier Stunden, in der Kanzlei oder zu Hause, morgens, mittags, abends? Am Ende der Sitzung stand ein Plan und keine einzige Entlassung. Die Frauen gingen als Schwangere und kamen wieder als Mütter – alle. Ihr Chef hat den Babyboom überlebt und freut sich im Rückblick, dass er „seine qualifizierten Mitarbeiterinnen“ behalten durfte. Also wurde 1995 doch noch ein gutes Jahr.

Wer so denkt und vor allem handelt, hat eine Auszeichnung verdient. In Peter Strumbergers Kanzlei in München hängt das Total-E-Quality-Zertifikat, ein Prädikat für gelebte Chancengleichheit im Beruf. Der gleichnamige Verein vergibt es seit 1994 zweimal jährlich an Firmen und Kommunen, die Ernst machen mit der Förderung ihrer weiblichen Mitarbeiter, mit Karrierechancen, Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit und flexiblen Arbeitszeiten. Das Zertifikat, so Carola Busch, Gründungsmitglied des Vereins und Vorsitzende der Jury, „soll die Idee transportieren“, die Idee, dass eine gerechte Personalpolitik sich für die Unternehmen lohnt, sowohl wirtschaftlich als auch menschlich.

Eine Idee, der es immer noch an Popularität mangelt. Forscherinnen und Gleichstellungsbeauftragte wissen, dass Männer wie Peter Strumberger, die sich von sich aus für berufliche Chancengleichheit stark machen, reichlich selten sind. Angelika Hamann von der Deutschen Trainer- und Führungskräfteakademie in Hamburg kennt nur wenige dieser Exemplare. Hauptsächlich, sagt sie, müssen Frauen „für sich selbst einstehen“.

Angelika Hamann hat Jura, Betriebswirtschaftslehre und Psychologie studiert und gehört zu der wachsenden Zahl von Frauen, die in Deutschland Unternehmen beraten. Laut Jörg Murmann vom Bund Deutscher Unternehmensberater sind in dieser Branche inzwischen etwa zehn Prozent der Inhaber, Geschäftsführer und Projektleiter weiblich. Das so genannte Coaching von Führungskräften ist bei Frauen noch beliebter, hier beträgt ihr Anteil sogar das Doppelte. „Vor zwanzig Jahren“, sagt Anita Scheffler-Lipp, die als selbstständige Unternehmensberaterin sechzig Prozent Frauen beschäftigt, „gab es in diesem Beruf ganz wenige Frauen.“

Eine Entwicklung, die deshalb interessant ist, weil Frauen als Beraterinnen von Firmen und Behörden mehr und mehr Einfluss auf die Schaltstellen männlicher Macht nehmen. Zwar haben sich die wenigsten von ihnen auf das Thema Chancengleicheit spezialisiert – das wäre derzeit wenig wirtschaflich –, doch im Hinterkopf haben sie es im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen alle. Und wer den „weiblichen Blick“ auf sein Unternehmen wünscht, der bekommt ihn auch. Für Geld, versteht sicht. Denn mit ihrer Gleichstellungskompetenz gehen die Frauen heute nicht mehr hausieren. Sie bieten sie dort an, wo sie gefragt ist.

Wenn es denn mal so weit ist, treten nicht selten archaische Ängste zu Tage. Und die größte Angst der Männer sei, sagt die Soziologin Karin Tondorf, im Beruf gegenüber Frauen benachteiligt zu werden. Dieser Angst muss frau als Beraterin begegnen.

Aber wie?

„Das Thema Chancengleichheit muss raus aus der Frauenkiste“, sagt Tondorf. Als „Querschnittaufgabe“, die „ökonomisch sinnvoll“ ist, solle man es den Führungskräften verkaufen, dann könnten diese es viel besser annehmen. Männer denken ja bekanntlich praktisch.

Ein Trend aus den USA. Dort wird in den Unternehmen zunehmend auf klassische Frauenförderung verzichtet. Diversity heißt das Zauberwort, das die amerikanische Arbeitnehmerin vom Hautgout des Feminismus befreien soll: Nicht nur sie ist anders – alle sind anders! Menschliche Vielfalt am Arbeitsplatz ist plötzlich erwünscht, diskriminierende Personalpolitik verpönt. Im Windschatten des diversity streben Frauen in den USA schon seit geraumer Zeit nach ganz oben und mit ihnen all diejenigen, die sich jahrzehntelang dem Mitarbeitermainstream „weiß, männlich, Mitte vierzig“ unterordnen mussten. Was die Politik der Vielfalt den Unternehmen bringt, ist inzwischen durch Zahlen belegt: Sie schafft eine zufriedene und kreative Atmosphäre und ist damit wirtschaftlich.

In Deutschland sollen die amerikanischen Tochterunternehmen nun nachziehen. Wo sind eure weiblichen Führungskräfte? Wie vielfältig ist eure Unternehmenskultur? Mit Fragen wie diesen zwingen die Amerikaner ihre deutschen Niederlassungen zur Inventur. Seit bei der Druckerfirma Hewlett-Packard in den USA eine Frau an der Spitze steht, bietet die Firma in Deutschland „Sensibilisierungsseminare“ für ihre männlichen Mitarbeiter an und rückt mit so genannten work-forces, die den Gedanken des diversity etablieren sollen, ihren Führungskräften auf den Leib.

Die Sozialpädagogin Angelika Plett ist eine der Ersten, die hierzulande Entwicklungshilfe in Sachen diversity leistet. Nichts weniger als „Erschütterung“ hat sie ausgelöst, als sie vor kurzen ein amerikanisches Tochterunternehmen in Norddeutschland auf Anstoß der Amerikaner hin untersuchte. Um der dortigen Unternehmenskultur auf den Zahn zu fühlen, führte Plett intensive mehrstündige Interviews mit ausgewählten Mitarbeitern aus allen Bereichen der Firma.

Das Ergebnis ihrer Befragung teilte sie der Diversitygruppe, die ihr die Unternehmensleitung zur Seite gestellt hatte, wie folgt mit: „In Ihrer Firma herrscht ein sehr schmaler Grat von dem, was akzeptabel ist. Man kann hier durch minimale Abweichung seine Erfolgschancen schmälern oder seine Karriere ruinieren. Der Mainstream Ihrer Mitarbeiter ist wenig variantenreich und zudem durchweg männlich, was erklärt, warum sich bei Ihnen keine einzige Frau auf der Führungsebene tummelt.“

Konfrontiert mit dieser, so Plett, „noch höflich“ formulierten Bilanz, ging ein Ruck durch das gesamte Unternehmen. Die erschütterte Diversitygruppe schnürte sogleich ein Paket mit Änderungsvorschlägen, das sie dem Vorstand vorlegte. Was daraus geworden ist, weiß die Beraterin nicht. Sie hat dem Unternehmen aber angeboten, es bei der Umsetzung seiner Umstrukturierungspläne „konstruktiv zu begleiten“.

Für den männlichen Mainstream, der es sich auch in deutschen Unternehmen so hartnäckig gemütlich macht, scheint es jetzt eng zu werden. Auch im öffentlichen Dienst erzwingen Bund und Länder inzwischen per Dekret große Organisationsuntersuchungen. Im Herbst vergangenen Jahres hat Karin Tondorf in Niedersachsen eine Kabinettsschulung zum Thema Chancengleichheit geleitet, mit einem Mann an ihrer Seite. Die Minister- und Staatspräsidenten sollten begreifen, dass es auch ihre Sache ist, um die es geht, berichtet Tondorf.

Derweil arbeiten ihre Kolleginnen daran, dass sich die männlichen Reihen erst gar nicht mehr schließen – vor allem auf den oberen Etagen. Die gelernte Industriekauffrau und Journalistin Christa van Winsen betreut seit November 1998 ein Mentorenprogramm bei der Telekom. Alle zwei Wochen treffen sich dort neun Mentoren und eine Mentorin mit ihren weiblichen Mentees. „Die meisten Männer an der Spitze“, sagt van Winsen, „wissen ganz genau um das Führungspotenzial ihrer Mitarbeiterinnen.“ Bei dem Programm gehe es nun darum, sie dazu zu ermutigen, diese als ihren Nachwuchs zu betrachten und zu fördern. Damit Frauen endlich mal dort ankämen, wo sie hingehörten – an der „operativen Front“. Auf ihrem Weg dorthin, so van Winsen, könnten sie dann auf zwei Dinge bauen: auf ihre Kompetenz und auf Männer, die verstanden haben.

Männer wie Steuerberater Peter Strumberger haben verstanden. Leider kann sie diese Hellsicht dazu verleiten, nur noch Frauen zu beschäftigen. Aber das sei dann eben „der Lauf der Dinge“, sagt Strumberger. Der Gedanke scheint ihn zu amüsieren. „Eigentlich“, sagt er, „ist es ja unfair, sich mit einem Prädikat für Chancengleichheit zu schmücken, wenn gar keine Männer bei mir arbeiten.“ Aber – er sei ja noch da. Noch, jaja. Der Mann hat Humor und schwärmt: von der „tollen Atmosphäre“ in seiner Kanzlei und davon, dass er mit Frauen „einfach besser kann“. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin habe er seine Mitarbeiterinnen jetzt sogar im Internet abgebildet. „Strumbergers Modellagentur“, witzeln die Kollegen. Er steht dazu. Für ihn ist die Zusammenarbeit mit Frauen eben „ein Genuss und eine Freude“. Und Firmen, die ihre besten Mitarbeiterinnen entlassen, nur weil sie schwanger werden, seien einfach „faul“. Sagt’s und lacht.

So erheiternd kann Chancengleicheit sein, wenn Männer verstanden haben.

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