Reif im Verborgenen

Wider den puren Nutzen: Der Designer Diemo Alfons kreiert Möbel, die die Psyche des Benutzers ansprechen ■ Von Martin Kaluza

Sie können diese Möbel nicht einfach an die Wand stellen und fertig. Die Vitrine, das Sideboard sind dafür einfach zu rund, sie müssen ein bisschen frei stehen, damit die Form so richtig zur Geltung kommt. Auch ein Tisch hat diesen eigentümlichen Grundriss: ein lang gezogenes Oval, das sich zur Mitte hin noch einmal so verbreitert, als hätte jemand einen großen Kreis darüber gelegt.

Tisch, Vitrine und Stühle stehen auf dicken, geschwungenen Füßen aus poliertem Aluminium, die sich zum Boden hin verjüngen. Diese Formen gibt es nur bei Diemo Alfons, seine Kollektion „Imago“ wurde 1998 vorgestellt und ging im vergangenen Jahr erstmals in Serie. Die neue Kollektion „Motion“ integriert dagegen auch die Beweglichkeit: Die Vitrine ist drehbar, das Kissen des Sessels lässt sich verschieben, Regalbretter lassen sich beliebig um ihre Aufhängung anordnen.

Die Prototypen seiner Möbel stellt Alfons dort her, wo er sie auch zum Verkauf ausstellt: im Galerieladen „Tagebau“ in der Rosenthaler Straße 19. Den Verkaufsraum teilt er sich mit fünf Designkollegen, die ihre Werkstätten ebenfalls unter demselben Dach haben. In einige kann man von der Straße aus hineinsehen. Allerdings stellt Alfons als einziger Möbel her: Karsten Fischer fertigt Bekleidung, Angela Klöck Hüte, Gizella Koppany Kostüme und Eva Sörensen sowie Michaela Binder Schmuck und Gefäße.

Das klingt nach einer Gruppe von eingeschworenen Kumpels, die sich vor langer Zeit an der Hochschule kennen gelernt und gemeinsam einen Traum erfüllt haben. Tatsächlich war es ganz anders. Die Designer haben über Anzeigen zueinander gefunden, die Diemo Alfons in Zeitungen geschaltet hatte. Ein halbes Jahr ließ er sich Zeit, bis eine Gruppe beisammen war, die künstlerisch und menschlich zueinander passte und ein Verständnis von Qualität teilte: Rohe Oberflächen, Werkspuren und die ganze oxidierte Unfertigkeit, die in den 90ern modisch war, wird man im Tagebau nicht finden.

Am Ende war der Schöpfer der Idee selbst überrascht, wie gut die Arbeitsgemeinschaft hält: „Designer sind Leute, von denen man ja erwartet, dass sie einen eigenen Kopf haben“, erklärt Alfons. Mittlerweile geht die Erstbesetzung ins dritte Jahr. Der Initiator ist Jahrgang 1961, geboren in Frankfurt am Main, und in seiner Geburtsurkunde steht ein Name, der nicht in die Zeitung soll. Er hat zwar nicht Möbeldesign studiert, aber er hat sich das Handwerkszeug selbst angeeignet, das er für das braucht, was er jetzt tut.

Auch darüber verliert er nicht viele Worte, Daten zur Person würden nur ablenken. In seiner Presseinformation steht: „Diemo Alfons erblickt im Oktober 1997 das Licht der Welt.“ Man könnte auch sagen: Der Künstler hat seine Hausaufgaben im Verborgenen gemacht und hebelt sich in dem Moment an die Oberfläche, an dem er eine reife Formensprache entwickelt hat. Vielleicht muss so kompromisslos auftreten, wer im Markt zwischen sterilem Lifestyle-Design und verspielten Unbrauchbarkeiten eine Schneise schlagen will.

Alfons nimmt denn auch für sich in Anspruch, gegen den Mainstream zu arbeiten: „Viele Designer orientieren sich zu sehr an der Funktionalität. Die Form folgt, und das Ganze sieht dann sehr nüchtern aus.“ Alfons beginnt den Entwurf dagegen mit einer Form, die die Psyche des Benutzers ansprechen soll: „Ein Stuhl soll das Wohnen angenehmer machen. Funktionierende Stühle gibt es genug.“ Ist seine Form gefunden, arbeitet Alfons so lange an ihrer Umsetzung, bis man auf ihm „gut, gerade und lange sitzen kann“.

Das eigene Formenrepertoire schützt Alfons freilich nicht davor, dass die Betrachter den Vergleich zu Bekanntem suchen. Besonders unbeliebt machen sich Passanten, die die Möbel 50er-Jahre-mäßig finden. „Wären die Möbel eckig statt rund, würden sie Bauhaus darin sehen“, zuckt Alfons’ Mitarbeiterin Anke Richter die Achseln. Viel wohler fühlt sich Alfons mit Leuten, die sich seine Möbel unvoreingenommen ansehen. Oder sie sogar anfassen, denn das ist durchaus gewollt. Er erinnert sich an ein Kompliment, das einmal eine Ausstellungsbesucherin gemacht hat: „Sie hat gesagt, sie würde die Sachen gerne einmal ihrer blinden Freundin zeigen.“Tagebau, Rosenthaler Str. 19, 10119 Berlin. Mo – Sa 11 – 20 Uhr