Die sehnigen Hände des Dr. Dindic

Ein Kurzroman aus der Welt der Schönen und Reichen

Verträumt griff Dindic zu seinem Lieblingsskalpell, das er stets bei sich trug, an einer Kette um den Hals

Grazil durchmaßen die Schritte von Dr. Dindic die hohen Räume seiner großzügig eingerichteten Stadtklinik. Der Schönheitschirurg hatte es weit gebracht – nur Mitglieder der nehmhaftesten Familien des Landes begaben sich in seine Obhut. Versonnen umklammerten die sehnigen Hände des schlanken Restjugoslawen eine luxuriöse Zigarette der Marke „Simon Arzt“. Elegant inhalierte der Mediziner. Was sollte er nur mit der alten Vettel machen, die sich ihm auf den Operationstisch gedrängt hatte? Dindic lachte. Am liebsten hätte er sie in kleine Würfel geschnitten und in ausgelassener Butter angedünstet. Der Gedanke erfüllte ihn mit Freude: ausgelassene Butter, ausgelassener Speck, ausgelassenes Ich! Denn ausgelassen wäre auch er gewesen, wenn er sie an seine anderen Patienten verfüttert hätte. „Chiär!“, hätte er gesagt und jenen fingerdicken südosteuropäischen Folkloreakzent aufgetragen, den seine deutschen Kunden so liebten. „Ist läkkär! Ist ungarischä Nationalspeisä! Odär slowännischä? Egall!“ Alle hätten sie beherzt zugegriffen und „Aaah!“ und „Oooh!“ und „Köstlich!“ geschmatzt vor lauter eingebildeten Wonnen. Verträumt griff Dindic zu seinem Lieblingsskalpell, das er stets bei sich trug, an einer Kette um den Hals. Es war das Skalpell seiner Mutter. Sie war eine berühmte Ärztin gewesen; mit diesem Skalpell hatte sie an sich selbst den Kaiserschnitt ausgeführt, der Dindic das Leben geschenkt und sie das Leben gekostet hatte. Erst zwanzig Jahre später, auf dem Totenbett, hatte ihm sein Vater die Geschichte seiner Geburt erzählt – und ihm das Skalpell in die Hand gedrückt. Es hatte sehr weh getan. Schmerz und Kummer drohten erneut ihn zu übermannen. Aber er durfte dem Ruf seines Herzens nicht folgen. Denn Marika Rökk hatte Geld – viel Geld, das er, Dindic, so dringend brauchte. Wegen Elena, seiner Tochter – die es einmal schlechter haben sollte als er. Das hatte Dindic bei ihrer Kommunion feierlich geschworen! Elena jedoch war clever und hatte jetzt schon Vorsprung. Sie hatte reich geheiratet und reich geerbt, und das bereits fünf Mal. Mit 23! Fünf steinreiche alte Fieslinge hatte Elena bisher unter die Erde gebracht und ausgenommen, und der sechste war in Arbeit: Johannes Heesters, der für KZ-Wachmannschaften aufgetreten und noch heute ein beliebter Mann war bei den Deutschen. Tiefe Abscheu und väterlicher Stolz verbanden sich in den edel geschnittenen Zügen des Star-Mediziners zu einer reizvollen Melange. Vor ungefähr 30 Jahren war ihm Marika Rökk zum ersten Mal begegnet. Im Fernsehen, in einem Werbespot für eine aus allerlei Föten zusammengerührte Schönheitscreme namens „Hormocenta“. Der Anblick hatte ihn tief erschüttert. „Das Geheimnis meiner Jugend heißt Hormocenta!“, hatte die blaugeäderte Untote, die so gern der blaue Engel gewesen wäre, behauptet und viel Wellfleisch sehen lassen. Diesen Anblick hatte Dindic nie vergessen können. Nur deshalb war er Schönheitsoperateur geworden: damit so etwas nie wieder geschehen konnte. Etwas wie Marika Rökk durfte nie wieder von irgendeinem Boden ausgehen! Und jetzt warf die alte Schnepfe sich ihm auf den OP-Tisch und einen Koffer voll Geld daneben. „Bin ich nicht schön?“, hatte sie gefragt – rein rhetorisch. Marika Rökk brauchte keine Antworten – sie war die Antwort auf alle Fragen, zu denen sie je imstande gewesen war. „Ich habe dafür Sorge getragen, dass ich rundherum Sonne habe“, hatte sie stolz gesagt – in der Zeit, in der Ausgabe zum Jahrtausendwechsel. Dindic sah Marika Rökk für Joseph Goebbels tanzen, der 1.000 Jahre lang ihre Sonne hatte sein sollen und es dann zwölf Jahre gewesen war. Vornehm fasste der Chirurg einen Entschluss. „Ich lasse dich gewinnen, Elena“, murmelte der Frauenschwarm halblaut. Er rief in der Klinikküche an. Dann ergriffen seine sehnigen Hände das Skalpell, das ihm so viel bedeutete. „Für dich, Mutter!“, hauchte er. „Und für mich. Und überhaupt.“ Gemessenen Schrittes begab er sich in den OP. Er hatte noch etwas kleinzuschnippeln. Wiglaf Droste