Hingabe auf matschiger Asche

Wie der ehemalige rumänische Nationalspieler Marcel Raducanu in seiner Dortmunder Fußballschule Nachwuchstalenten Maloche und die Liebe zum Ball lehrt ■ Von Reiner Leinen

Nasskaltes Nieselwetter, der Wind pfeift. Ein trostloser Ascheplatz tief im Westen, von Pfützen übersät. Wie hingeworfen ein paar umgelegte Tore. Kaum zu glauben, dass hier jemand freiwillig hinkommt, um Fußball zu spielen. Ein paar Minuten später ist der Platz von zwei Dutzend Jungen bevölkert, die schon einmal ein bisschen den Ball bewegen, bis ihr Trainer kommt. Der heißt Marcel Raducanu, führt in Dortmund eine Fußballschule und war mal ein guter Kicker, der als Spieler von Borussia Dortmund in Deutschland bekannt wurde.

Zu Raducanus aktiver Zeit war der rumänische Fußball marode bis aufs Mark: Manipulationen und Bestechungen entschieden über Sieg und Niederlage, der Würgegriff der Politik ließ den Ball schon lange nicht mehr rollen, wohin er wollte. Während eines Spiels der rumänischen Nationalmannschaft im Westfalenstadion Ende Juli 1981 kehrt Marcel Raducanu zur zweiten Halbzeit nicht mehr aufs Spielfeld zurück, beim Abpfiff ist er schon auf dem Weg nach Hannover, wo er vorübergehend Unterschlupf findet.

Doch er will erstklassig Fußball spielen, findet bald nach Dortmund. Zwischen 1982 und 1988 läuft er, der geniale Spielmacher, in 163 Bundesligaspielen für die Borussia auf, erzielt 31 Tore. Er engagiert sich vehement für größere Fairness und Akzeptanz gegenüber Ausländern. Dann lockt ihn Hannes Bongarts zum Ende seiner Karriere nach Zürich. Hier wird er nach einem Bandscheibenvorfall Sportinvalide. Schließlich geht Marcel Raducanu wieder nach Dortmund zurück. Dort hat er einen guten Namen. Er wird Fußballlehrer, will bei Borussias Jugend als Trainer arbeiten. Der Verein disponiert jedoch ohne ihn. Ein Freund bringt ihn auf die Idee, eine Fußballschule zu gründen.

Heute trainieren in seiner Schule zwischen sechzig und neunzig Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 15 Jahren. Sie üben ein- oder zweimal in der Woche – zusätzlich zum Training in ihren Stammvereinen. Die meisten kommen aus Dortmunder Vororten, die übrigen reisen aus dem westlichen Ruhrgebiet, dem Sauerland und sogar aus dem Siegerland an.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie von einem brillianten Fußballer trainiert werden, wird den Kindern etwas geboten, das sie in ihrem Verein so nicht erleben: Es wird nur mit dem Ball gearbeitet und sie werden individuell in kleinen Gruppen gefördert. Hier werden sie von einem sechsköpfigen Trainerstab, unter ihnen auch der ehemalige BVB-Torwart Horst Bertram, technisch und taktisch geschult. Die Begeisterung und Hingabe Raducanus strahlt auf die Nachwuchskicker ab. „Der Ball ist dein Freund“, sagt er.

„In dieser Form einmalig in Deutschland“ sei das Angebot. Anderen Fußballschulen, geführt von Rudi Völler oder Dieter Burdenski, attestiert er ausgezeichnete Arbeit, diese aber beschränken sich auf recht teure Ferienangebote an der Ostsee oder auf Mallorca. Raducanu setzt auf den Alltag und auf Kontinuität.

Nach einem kostenlosen Schnuppertraining absolvieren die jungen Fußballer zunächst einen dreimonatigen Grundkurs, nicht wenige bleiben danach jahrelang dabei. Neunzig Mark pro Monat kostet das Abo, Versicherungsschutz inklusive.

„Gut angelegtes Geld“, meint Rolf Wagner, der schon seit dreieinhalb Jahren seinen Sohn Kevin allwöchentlich aus dem siegerländischen Wissen nach Dortmund chauffiert. Allerdings ist die Fußballschule Raducanu weit davon entfernt, eine Eliteausbildung zu betreiben. „Wir nehmen alle Kinder auf.“ Handfeste ökonomische Gründe spielen für Raducanu eine untergeordnete Rolle. Marcel, wie ihn hier alle nennen, hat sein Herz an den Fußball und an die Jugend verloren und jede gelungene Aktion auf dem Platz entlockt ihm Entzücken. Er schwärmt davon, dass Kinder zu ihm kommen, die lediglich fußballtechnische Grobformen beherrschen, nach drei Monaten Training den Ball aber bereits technisch sauber annehmen und per Spannstoß ins Tor befördern können.

Raducanu ist Sozialarbeiter, Mittler einer Botschaft. Spiel und Spaß stehen im Vordergrund. Und doch handelt es sich nicht um ein weltfremdes Konzept. Raducanu kennt das Geschäft zu gut, um den Kindern, die zu ihm kommen, den Fußballsport nicht als Schlaraffenland zu verkaufen. „Fußballlegenden werden nicht aus Luft und Liebe geschaffen. Sie entstehen einzig durch Fleiß und konsequentes Training“, heißt es im Werbeprospekt der Fußballschule.

Natürlich wehrt er sich nicht, wenn jemand dabei ist, der überdurchschnittlich talentiert ist. Wie Francis Bugri, Sohn einer rumänischen Mutter und eines ghanaischen Vaters, den Raducanu als 13-Jährigen entdeckte, von Kassel nach Dortmund holte und in seiner Schule förderte. Heute spielt Bugri bei den Amateuren von Borussia, ist auf dem Sprung in die erste Mannschaft. Oder auch Bruno Donnici, ganze sieben Jahre alt, der in Oestrich bei Iserlohn das Tor der F-Jugend hütet und mit Raducanu Torwart-Sondertraining absolviert. Bruno hechtet und springt, keucht und hechelt und lenkt die Bälle um den Pfosten. „Unglaublich``, sagt sein Trainer ständig. Und der hat wirklich schon viele gesehen.

Über tausend Fußballer sind in den fünfeinhalb Jahren seit Gründung schon dagewesen. Inzwischen schätzen die Vereine sein Angebot, werten es als Bereicherung ihrer Arbeit. Das war nicht immer so. Anfänglich gab es viele Anfeindungen, Raducanu wurde unterstellt, absahnen zu wollen, nur die Besten abzuwerben, um sie dem BVB zuzuführen.

Das gehört der Vergangenheit an. Die Fußballschule floriert, hat sich auch über die Grenzen Dortmunds hinaus einen Namen gemacht. Momentan gibt es ein Angebot, die U 17-Nationalmannschaft von Südkorea in einem Trainingslager zu betreuen. Andere Städte sind mit der Bitte an ihn herangetreten, doch überzusiedeln, aber da kennt Raducanu keine Kompromisse: „Die Fußballschule gehört nach Dortmund“. Punkt. Nur der Umzug auf einen besseren Platz steht kurz bevor, auf eine Anlage im Dortmunder Süden. Dort gäbe es dann auch einen Rasenplatz. Und eine Sporthalle. Gut für Tage, an denen es unablässig nieselt und der Wind allzu heftig pfeift.