Tauschgeschäft mit „Terroristen“

Im Tausch gegen zwei Soldaten liefern die Russen einen Radio-Liberty-Mitarbeiter an die Tschetschenen aus. In Moskau aufgetaucht ist der Journalist nicht ■ Von Barbara Kerneck

Moskau (taz) – Gestern Nachmittag präsentierte das russische Fernsehen von Mitarbeitern des Geheimdienstes FSB angefertigte Videoaufnahmen. Darauf ist zu sehen, wie Andrej Babizki, Bürger Russlands und Korrespondent des US-Senders Radio Liberty, in Tschetschnien gegen zwei russische Soldaten ausgetauscht wird. Dabei spricht der gebeugt gehende Babizki in die Kamera folgende Worte: „Ich habe überlebt.“ Die Aufnahmen sollen offenbar eine Erklärung von Regierungssprecher Sergej Jastrzembski belegen, wonach der Journalist am Donnerstag tschetschenischen Feldkommandeuren im Austausch gegen zwei russische Gefangene übergeben worden war.

Diese Erklärung hat einen Sturm der Empörung in der russischen Öffentlichkeit und in der Weltpresse ausgelöst. Falls sie zuträfe, beleuchtete sie einen in der Weltgeschichte einmaligen Fall: dass nämlich eine Regierung einen Journalisten an Leute ausliefert, die sie selbst als „Terroristen und Verbrecher“ betrachtet. „Wenn man ihnen erzählte, dass die italienische Regierung im Austausch gegen irgendjemanden der sizilianischen Mafia einen Reporter übergeben hätte, würden sie das doch einfach als Nonsens betrachten“, kommentierte Sawik Schuster, Chefredakteur des Moskauer Büros von Radio Liberty.

Ein Sprecher des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maskhadow bestätigte unterdessen in Moskau, dass der Austausch stattgefunden habe, allerdings früher, als von Jastrzembski behauptet.

Der Radio-Liberty-Korrespondent war Mitte Januar in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny von russischen Sicherheitskräften verhaftet worden und in einem konzentrationslagerähnlichen, so genannten Filtrationspunkt in dem Dorf Tscherkosowo festgehalten worden. Ein Sprecher des russischen Innenministeriums begründete Babizkis Verhaftung damit, dass er sich nicht beim Oberkommando der Föderalen Streitkräfte in Mosdok zur Kriegsberichterstattung akkreditiert habe. Tatsächlich hatte der Korrepondent um die Akkreditierung ersucht. Als man sie ihm aber verweigerte, beschloss er, eben von der tschetschenischen Seite der Front aus zu berichten. Vorläufig gelten in Tschetschenien noch alle Garantien der russischen Verfassung.

Babiskis Familie fragt sich inzwischen, warum er noch nicht in Moskau angekommen ist. Besonders beunruhigt sie Jastrzembskis Erklärung: Nach der Tauschaktion könnten die russischen Behörden keine Verantwortung mehr für das Leben des Journalisten übernehmen. Erst vor wenigen Tagen hatte US-Außenministerin Madeleine Albright ihren russischen Amtskollegen Igor Iwanow um ein Lebenszeichen von Babizki gebeten. Die Ehefrau des Korrepondenten, Ljudmila Babizkaja, verdächtigt die russische Regierung, diese habe ihren Mann an die Tschetschenen abgeschoben, um diesen die Verantwortung für lebensgefährliche Verletzungen anlasten zu können, die man Babizki in dem Filtrationspunkt zugefügt habe.

Russen wollen einen Teil der Truppen abziehen

Unterdessen bereitet Russland nach den Worten des stellvertretenden Generalstabschefs Waleri Manilow einen Teilrückzug seiner Truppen aus Tschetschenien vor. Ein „bedeutender Teil“ der fast 100.000 Soldaten, die im Kaukasus-Krieg im Einsatz sind, solle abgezogen werden, sagte Manilow gestern in Moskau. „Die Lage erlaubt uns, die Zahl der Soldaten zu verringern“, fügte er hinzu.