Afrikas Pinochet vor Gericht

■ Hissein Habré, der gefürchtete Ex-Diktator des Tschad, muss sich im Senegal wegen Folter, Verschleppung und Tötung verantworten. Ihm droht eine langjährige Haftstrafe

Vor dem Eingangstor, im Schatten der über zwei Meter hohen gelben Mauer, sitzen und liegen rund ein Dutzend Wachleute. Doch wer am Haus Nummer 26 der ruhigen Rue Air France im Dakarer Vorort Ouakam, knapp 100 Meter vom Atlantischen Ozean entfernt, nach dem ehemaligen Präsidenten des Tschad, Hissein Habré, fragt, stößt auf taube Ohren. „Der wohnt hier nicht“, lügt einer der Wächter und setzt wenig später hinzu, Habré sei umgezogen. Wohin, das wisse er nicht.

Umziehen aber wird Habré vorerst nicht mehr, selbst wenn er wollte: Ein Gericht der senegalesischen Hauptstadt Dakar hat gegen den einstigen Staatschef Anklage wegen Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Mit gesenktem Kopf verließ Habré am Donnerstagnachmittag das Büro des Richters Demba Kandji. Bis zum Ende der Verhandlung soll er in seiner Residenz in der Rue Air France unter Beobachtung bleiben. Seinen Reisepass und andere Ausweise musste er bereits abgeben. Nach Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet wird damit weltweit zum zweiten Mal Anklage gegen einen ehemaligen Staatschef wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben. „Hissein Habré ist der Pinochet Afrikas“, sagt Reed Brody, stellvertretender Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Ende 1990 war Habré vom noch immer amtierenden Präsidenten des Tschad, Idriss Deby, gestürzt worden. Er flüchtete mit seiner Familie und angeblich 11,6 Millionen Dollar an Bord seines Privatflugzeugs nach Senegal, wo er politisches Asyl erhielt. Er lebt heute zurückgezogen am Atlantik.

Mit der beschaulichen Ruhe ist es seit dem 25. Januar vorbei. An diesem Tag reichte eine Gruppe aus neun Einzelpersonen und der Vereinigung der Opfer der Verbrechen und politischen Unterdrükkungen im Tschad (AVCRP) in Dakar Klage gegen Hissein Habré ein. Er soll sich vor Gericht wegen 97 politischer Morde, 142 Folterfällen und dem Verschwinden von 100 Personen während seiner Amtszeit von 1982 bis 1990 verantworten.

Dass die senegalesische Justiz sich im Fall Habré für zuständig erklärt hat, ist ein erster Erfolg für die Opfer und ihre Anwälte. Grundlage ist die UN-Menschenrechtskonvention von 1948. Sie fordert von den Unterzeichnerstaaten, Personen, die der Folter verdächtigt werden, vor Gericht zu stellen oder auszuliefern. Senegal übernahm 1996 diese Klausel in seine Verfassung.

„Zum ersten Mal richten sich afrikanischen Opfer an das Gericht eines anderen afrikanischen Landes, um einen ehemaligen afrikanischen Diktator zu belangen“, sagt Alioune Tine, Direktor einer senegalesischen Menschenrechtsorganisation. Der Fall habe eine historische Bedeutung. „Diese Initiative kann nicht nur Tausenden von Opfern Habrés Gerechtigkeit widerfahren lassen, sondern sie kann auch dazu beitragen, der Gewohnheit ein Ende zu setzen, dass ehemalige Diktatoren in einem goldenen Exil in völliger Straflosigkeit leben können.“

Geht es nach den Anwälten der Opfer, wird Hissein Habré seine Villa bald gegen die Pritsche einer kleinen Gefängniszelle tauschen müssen. „Falls das senegalesische Gericht die gleiche Lesart der Gesetze hat wie wir, denken wir, dass Habré verurteilt wird“, erklärt der Sprecher der Advokatengruppe, Boucounta Diallo.

Sidiki Kaba, ein weiterer der fünf Anwälte der Opfer und Direktor der senegalesischen Menschenrechtsorganisation ONDH, glaubt, am „Anfang eines juristischen Marathons“ zu stehen. Er rechnet mit einer Dauer von wenigstens einem Jahr. Andere Beobachter erwarten einen mehrjährigen Prozess.

Hissein Habré droht eine langjährige Haftstrafe. Die Beweislast sei erdrückend, sagt Anwalt Sidiki Kaba. „Doch die Höhe der Strafe können wir nicht vorhersagen. Nur eines steht fest: es wird nicht die Todesstrafe geben.“ Die ist in der 40-jährigen Geschichte des Senegal erst zweimal verhängt worden.

Habré hat sich inzwischen für unschuldig erklärt. Sein senegalesischer Anwalt Madické Niang sagte nach der Anklageerhebung: Habré sei das Opfer einer politischen Intrige mit internationalen Verzweigungen. „In den nächsten Tagen werden der Senegal und die ganze Welt über die Konturen dieser Intrige belehrt werden.“

Veronika Eggersglusz, Dakar