Die Macht des Aberglaubens

■ Das Stadttheater Bremerhaven inszeniert in der Kaserne Weddewarden Wilfried Hillers Oper „Der Schimmelreiter“. Wo Vernunft als Höllenwerk gilt, wird es schnell feucht und gefährlich

Über dem Deich ein graugrüner Himmel, zu seinen Füßen wenige wechselnde Spielorte, außen und innen, Versammlungsplatz und Wohnung. Hier wohnen der alte Deichgraf und seine Tochter Elke, auf die Hauke ein Auge geworfen hat. Hauke, der rechnen und konstruieren kann, der begreift, dass ein neuer Deich her muss, denn „der alte wird uns brechen“.

Der Komponist Wilfried Hiller hat Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ vertont. 1998 in Kiel als Auftragswerk uraufgeführt, hatte die kleine 90-minütige Oper jetzt in Bremerhaven Premiere. Eine glückliche Wahl für das Musiktheater, das seit Beginn der Spielzeit mit dem Behelfsraum in der ehemaligen amerikanischen Kaserne Weddewarden auskommen muss, der hier vom Regisseur Ricardo Fernando und der Bühnenbildnerin Petra Mollerus optimal genutzt wird.

Denn die langgestreckte schmale Bühne ist zum dunklen Deich verwandelt, über dem der Himmel in eindrucksvoll wechselnden Farben erscheint. Mit schlagartig wechselnden Farben arbeitet auch die Musik, die Wilfried Hiller den 22 jeweils kurz angerissenen Szenen unterlegt. Hiller, 59 Jahre alt, der lange mit Michael Ende zusammengearbeitet hat (u.a. „Tranquilla Trampeltreu – die beharrliche Schildkröte“), nutzt einen reduzierten Orchesterapparat, er kombiniert wenige Streicher mit Bläsern, vielfältiger Percussion, Trommeln, verschiedenen Glockenspielen.

So sind die musikalischen Farben immer transparent. Das zentrale Instrument ist eine Geige, die ein Paganini-Thema leitmotivisch durch das Stück führt. So wird der Teufelsgeiger aus dem 19. Jahrhundert zum Symbol für die Kraftgestalt des Deichbauers Hauke Haien, der in den Augen der abergläubischen Bevölkerung etwas Unheimliches an sich hat. Denn Hauke verbietet die heidnischen Sitten, wonach beim Deichbau ein lebendes Tier in den Anstich geworfen werden muss.

Er hat in dem dumpfen Ole Peters einen eifersüchtigen Konkurrenten. Der missgönnt ihm den Erfolg bei der Landgewinnung und weiß die argwöhnische Bevölkerung auf seiner Seite. Hiller spielt – moderat modern – mit bekannten musikalischen Formeln, mit Volkslied-, mit Jazz- und Musical-Anklängen, er plädiert ausdrücklich gegen „unverdauliche Musik“, so gewinnt er zwar kein musikalisches Neuland, aber für die eng begrenzte Welt der stormschen Küsten-Menschen hat er ein klar eingegrenztes Formen-Repertoire. Das ist reizvoll.

Die sängerischen Leistungen sind durchweg respektabel (Burkhard Fritz als Hauke und Katarzyna Kuncio als Elke, herausragend Gavin Taylor als Ole Peters), und die Musik wird vom Städtischen Orchester (Leitung Peter Aderhold) sorgfältig und sehr engagiert umgesetzt. Der Chor agiert szenisch lebendig, mal als Trauerchor beim Begräbnis von Haukes Vater oder als Chor der Deicharbeiter. Andreas Meyer, Dramaturg am Kieler Theater, hat in sein Libretto eine Reihe von Storm-Gedichten eingefügt.

Die Oper ist ein schönes, buntes Bilderbuch zur Storm-Novelle. Ganz heranreichen an das Original, können Libretto und Musik aber vielleicht nicht. Jene düstere Atmosphäre der Novelle, in der die drohenden Gewalten des Wassers sich mit dem „wolkendunklen“ Himmel und mit den dunklen Ahnungen der Menschen paaren, sind nur schwer auf die Bühne zu hieven. Hiller kann Stimmungen herbeizaubern. Er verzichtet klug auf jeden fetten Cinemascope-Kinoklang, aber erreicht er die sinnliche Kraft der Sprachbilder? Die Gewalt der grauen Wassermassen, die schließlich dank Ole Peters durch den alten Deich ins Land brechen, wird in Bremerhaven mit einer Masse von Theaternebel angezeigt, der sugges-tiv in den Saal flutet. Vor allem in diesen stürmischen Tagen ein eindrucksvolles Spektakel für die Stadt hinter dem Deich. Der herzliche Beifall im nicht ausverkauften Saal galt auch dem aus München angereisten Komponisten.

Hans Happel

Konzertsaal der Carl-Schurzkaserne (Weddewarden)

Weitere Vorstellungen: 15.2., Tel.: 0471/490 01