Wie singen Löwen? Summen oder krächzen?

1860 München und ihrem Lorant droht wieder eine mentale Rückrunden-Blockade

München (taz) – Werner Lorant saß im Pressekonferenzraum und überlegte. Dabei presste er zuckend seine Augen zusammen, formte seine Lippen zu einem spitzen Kussmund, und als er anschließend für ein paar Sekunden schwieg und mit diesem Gesichtsausdruck verharrte, fing man fast an, sich Sorgen um ihn zu machen. Dann hob er den Kopf und zischte: „Wir wollen hier nicht größenwahnsinnig werden. So wie die Zuschauer. Im ersten Pflichtspiel der Rückrunde pfeifen die uns nach 20 Minuten aus.“ Pause. „Unbegreiflich.“ Das wiederum klang deutlich nach einem äußerst gesunden Lorant.

Der 1860-Trainer ist ja ein Mensch, der seiner Umwelt gerne mit bärbeißigen Verbalattacken gegenübertritt. Verständlich also, dass er die akustischen Unmutsäußerungen der Löwen-Fans nicht kommentarlos vorüberziehen ließ. Andererseits, selbst Lorant zeigte sich unzufrieden und erkannte, dass seine Mannschaft beim 1:2 gegen den VfL Wolfsburg „ohne jegliche Aggressivität“ gespielt hatte und „zuweit weg vom Gegner“ gewesen war. Letzteres merkte man vor allem bei den Gegentoren durch Andrzej Juskowiak, der nahezu ungehindert treffen durfte. Der zwischenzeitliche Ausgleich durch Bernhard Winkler konnte nur für eine halbe Stunde die Hoffnung auf einen gelungenen Rückrundenstart nähren.

1860 München hat lediglich ein Spiel verloren. Kein Grund zur Panik. Wenn da nur die Erfahrung der letztjährigen Saison nicht wäre. Auf Tabellenplatz 4 überwinterte man damals, überzeugte dabei sogar mit schwungvollem, spaßorientiertem Gekicke, und manch einer begann siegesgewiss die offizielle Melodie der Champions League zu summen. Dann allerdings ertönte nur noch verstimmtes Gekrächze: 11 Niederlagen in 16 Spielen waren gefolgt und der Absturz auf Platz 9. Lorant und mit ihm Präsident Karl-Heinz Wildmoser müssen sich wie kleine Kinder gefühlt haben, denen man ein Eis vor die Nase hält und fragt: Willst du es haben? Und just als das Kind zugreifen will, lässt man das Eis fallen. So etwas schmerzt.

Der Verein zog daraufhin schnell seine Konsequenzen. Acht Spieler gingen, zehn kamen und mit ihnen der Wille, es erneut zu versuchen. Mit Erfolg. Nach 17 Spielen landete 1860 wieder auf Platz 4 der Vorrunde. Natürlich weckte dieser Umstand wieder Begehrlichkeiten auf mehr. Aber diesmal, glauben alle felsenfest, breche die Mannschaft nicht ein.

Das mag stimmen. Es gibt kaum Verletzte, der Kader ist ausgeglichen besetzt, die Stimmung gut. Lorant sagt: „Wir sind so gut gerüstet wie noch nie.“ Bei derlei Optimismus pilgerten denn auch rund 30.00 Zuschauer am tristen Samstagnachmittag ins Münchner Olympiastadion, um sich persönlich davon zu überzeugen. Was sie dann aber zu sehen bekamen, glich der Vorführung einer Schülermannschaft. Sat.1 zeigte ob des belanglosen Gestochers einen nasenbohrenden Lorant, versehen mit dem Kommentar: „Bei diesem Spiel blieb Zeit für Unerledigtes.“

Bezeichnend für die desolate Leistung war Daniel Borimirov, der als gelernter Rechtsaußen auf der linken Seite agieren musste. Ihm gelangen nur Fehler. Er verschuldete das erste Gegentor, verstolperte reihenweise weitere Bälle, und ein erzürnter Zuschauer forderte prompt die benachbarten Journalisten auf: „Schreibt’s ihn raus!“ Auswechseln hätte durchaus genügt, aber Lorant verbiss sich anscheinend in der Idee mit Borimirov als glücklosem Linksaußen: „Die Fans hätten noch stundenlang pfeifen können. Bori hätte durchgespielt. Wo sind wir denn?“

Von einer Krise muss man ja nicht gleich sprechen, aber kleine Anzeichen einer Unsicherheit sind durchaus spürbar. Die Spieler wissen um den ständigen Vergleich mit letzter Saison. Zaghafte Nachfragen wurden entsprechend patzig abgewehrt. Holger Greilich etwa fragte wirsch: „Sollen wir jetzt aufhören zu spielen, oder was?“ Und Marco Kurz ermahnte gar einen Reporter: „Mach dir mal keine Sorgen. Wir spielen eine gute Rückrunde.“

1860 hat die letzten fünf Partien gegen Wolfsburg verloren. Deren Torwart Claus Reitmayr analysierte schmunzelnd: „Wir sind die Angstgegner der Löwen.“ Das lässt sich belegen. Rein statistisch natürlich. Gerald Kleffmann