Kulturmäntelchen gelüftet

■ Der WDR will die „Rückblende“ einstellen, um Sendeplätze und Etats für das geplante Metropolenfernsehen freizumachen

Der „Rückblende“, einem der profilierteren Geschichtsmagazine des deutschen Fernsehens, droht das Aus. Weil für das geplante Metropolenfernsehen des Westdeutschen Rundfunks und eine Ausweitung der regionalen Berichterstattung Sendeplätze und zusätzliche Etats gebraucht werden, erwägt WDR-Intendant Fritz Pleitgen, die von den meisten dritten Fernsehprogrammen übernommene Sendung ersatzlos zu streichen.

Diese „schwierige Güterabwägung“ bestätigte gestern der Leiter des Programmbereichs Kultur und Wissenschaft, Michael Schmidt-Ospach. „Man kann personelle und finanzielle Kapazitäten nun einmal nicht unbegrenzt vermehren“, so Schmidt-Ospach. Vor dem Hintergrund der drohenden privaten Konkurrenz – noch im ersten Halbjahr 2000 soll ein kommerzielles landesweites TV-Regionalprogramm auf Sendung gehen – sei dies „eine Unternehmensentscheidung, die jeder nachvollziehen kann“. Neben der „Rückblende“ stehen auch die Kultur-Features und die Musiksendung „Rockpalast“ zur Disposition.

Einmal pro Woche präsentiert die nur 15-minütige „Rückblende“ Kurzgeschichte, Qualität und Profil der Sendung sind für das knappe Budget und den immer weiter nach hinten geschobenen Sendeplatz erstaunlich konstant: Mehrere Grimme-Preise zeugen davon.

Vor allem ist die „Rückblende“ einer der letzten Sendeplätze für Alltagsgeschichte und Abseitiges im deutschen Fernsehen – und steht seit fast einem Jahrzehnt für oft sehr persönlich gefärbte Geschichte, nicht nur zu den hohen Gedenktagen. Die Machart ist unprätentiös, aber immer kenntnisreich und oft erfrischend anders als die durchpädagogisierte Standardlangform von ARD-Dokumentationen.

Das Themenspektrum reicht vom Gründungstag der Grünen (13. Januar 1980) über die Geburt von Reggae-König Bob Marley (4. Februar 1945) und das Patent für nahtlose Stahlrohre der Firma Mannesmann (27. Januar 1885) zurück bis zur Gründung des „Schwäbischen Sängerbundes“ (25. November 1849), an dem verdeutlicht wird, wie sich das patriotische Bürgertum die deutsche Einheit von 1871 ersang.

Ähnlich wie beim Hörfunk-Pendant „ZeitZeichen“ fallen die einzelnen „Rückblende“-Folgen je nach Autor und dessen konkreter Weltranschauung höchst unterschiedlich aus, auch selten gehörte Stimmen kommen hier zu Wort.

„Rückblende“-Mitarbeiter fürchten jetzt um den Verlust dieses Experimentierfeldes, dass vor allem auch für junge und bisher unbekannte Autoren offen ist, die selten an die teuren Prestigeproduktionen herangelassen werden.

Die „Rückblende“-Redaktion schweigt zum laufenden „heftigen Diskussionsprozess“ – angeblich ist ihr von der Programmleitung des WDR-Fernsehens ein Maulkorb verpasst worden, der sich über Kontakte zur Presse hinaus auch auf Kontakte zu den WDR-Aufsichtsgremien erstrecken soll.

Intern kritisiert wird vor allem das Vorgehen der WDR-Mächtigen, die bereits 1999 versucht hatten, die Sendung zu kippen, dann aber im Rundfunkrat gescheitert waren. „Eine Streichung der ‚Rückblende‘ würde nicht so sehr ins Auge fallen“, so ein Insider, bei einem Etat von rund 30.000 Mark pro Sendung und über 40 Ausgaben pro Jahr ließen sich immerhin mehr als1,2 Millionen Mark für andere Projekte lockermachen.

Die „Rückblende“-Mitarbeiter sehen sich außerdem als Sündenböcke für eine verfehlte WDR-Programmpolitik: Teuer gefloppte Zulieferungen für das erste ARD-Programm wie „CityExpress“, millionenschwere Ankäufe für das Kinderprogramm oder das weit hinter den Erwartungen zurückgebliebene „EinsLive-TV“ im WDR-Fernsehen müssten jetzt von den Kultur- und Geschichtsredaktionen ausgebadet werden: „Das Kulturmäntelchen des WDR wird immer weiter gelüftet.“ Steffen Grimberg