Polizeirazzia auf dem Campus zum „Wohle Mexikos“

Die Nationaluniversität von Mexiko ist geräumt – von Studenten. Jetzt halten Polizisten das Gelände besetzt. Erstmals seit 1968 ist damit die Autonomie der Universität verletzt

Mexiko Stadt (taz) – Als „saubere chirurgische Operation“ präsentierte das mexikanische Fernsehen am Sonntag die polizeiliche Räumung des seit neuneinhalb Monaten bestreikten Campus: Kamerafahrten über verwüstete Hörsäle und menschenleere Gänge, schmutziges Geschirr und abgerissene Che-Guevara-Transparente. „Alles ist absolut ruhig“, berichteten die TV-Reporter, und Kommentatoren feierten die „Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit“ und das „Ende der Geiselnahme“. An die 2.500 Bundespolizisten waren im Morgengrauen in das weiträumige Gelände der Nationaluniversität Unam eingedrungen. Die Streikenden, die sich im Audimax versammelt hatten, ließen sich widerstandslos abführen. Genau 623 Festnahmen meldete die Justizbehörden am Nachmittag, zusammen mit den letzte Woche verhafteten 248 Aktivisten sind damit fast 900 Streikanhänger hinter Gittern, darunter auch die bekanntesten Köpfe der Bewegung. Ihnen soll nun wegen Schwerstdelikten wie „Aufruhr“, „Terrorismus“ und „Sabotage“ der Prozess gemacht werden. Bei der Revision der Gebäude seien, so teilten Polizeisprecher am Nachmittag mit, neben einem halben Dutzend Molotowcocktails und „Guerilla-Propaganda“ auch diverse Marihuanapflanzen sichergestellt worden.

Überraschend kam die Räumung nicht. Erst wenige Tage zuvor hatte die Bundesstaatsanwaltschaft über 400 Haftbefehle wegen „Plünderung“ beantragt. So erfolgte der Polizeiansatz nicht auf Antrag der Universitätsleitung, sondern aufgrund einer höchstrichterlichen Entscheidung. Diese ist allerdings stark umstritten: Schließlich handelt es sich um die erste Verletzung der universitären Autonomie seit den Studentenunruhen von 1968, bei denen am 2. Oktober mehrere hundert StudentInnen von der Armee erschossen wurden. So warnten ehemalige Studentenführer wie der amtierende Verkehrsbeauftragte der Stadt, Joel Ortega, vor einem repressiven Rollback „um 32 Jahre“ und vor dem gegenwärtigen „Klima der Lynchjustiz“. Bei aller Kritik am Sektierertum des studentischen Streikrats, so Ortega, dürfe der Campus nun keinesfalls „zur Kaserne“ werden. Auch die Menschenrechtskommission der Haupstadt bezeichnete die Anklagen wegen Aufruhr und Terrorismus als „unhaltbar“.

Innenminister Diodoro Carrazco betonte hingegen vor Reportern, das Polizeimanöver sei zum „Wohle Mexikos“ durchgeführt worden. Nun könne sich die universitäre Gemeinschaft endlich an die „Versöhnung“ machen. Auch der Rektor Juan Ramón de la Fuente äußerte „tiefstes Bedauern“ über diesen „unvermeidbaren“ Schritt und appellierte an die Justizbehörden, alle verhafteten Studenten mit „Wohlwollen und Gerechtigkeit“ zu behandeln. Doch schon in den frühen Abendstunden formierten sich zahlreiche Protestmärsche zu den Gefängnissen und dem Gebäude der Bundesstaatsanwaltschaft im Stadtzentrum. „Freiheit für unsere Kinder!“, skandierten die Demonstrierenden. Die Tore der Universität sind unterdessen nach wie vor verbarrikadiert – nur dass sich diesmal Uniformierte hinter ihnen verschanzt haben. Anne Huffschmid