„Bitte jetzt weiterzappen“

Erich Böhme wollte auf n-tv „den Mythos Haider entzaubern“. Stattdessen entzauberte Haider am Sonntag den Mythos Böhme

Draußen, jenseits der schalldichten Fenster des Hotel Intercontinental, rollt im Schritttempo ein Wasserwerfer der Polizei vorbei. Drinnen, zwischen Kabeln, Kameras und geschäftigen Technikern, schiebt sich Erich Böhme durch die Menge, dreht sich im Kreis, schüttelt fortwährend Hände. Wirft forschende Blicke über den Rand seiner Brille und blinzelt ein bisschen im Scheinwerferlicht, das er so lange hat missen müssen.

Dies ist sein großer Auftritt, seine Rückkehr in die Manege der hohen Tiere. Gut abgestanden auch die Jovialität, mit der sich Böhme vor der Aufzeichnung an sein Publikum wendet: „Sie dürfen hier nicht rauchen und nicht trinken. Ich verstehe das auch nicht, aber es ist so.“

In der Lounge diktiert derweil Ralph Giordano einer Traube Journalisten Druckfähiges in die Blöcke. Faschismus. Anfänge. Wehren. Solche Sachen. Aber auch der jüdische Publizist muss am Metalldetektor seine Taschen leeren – sein Einwand, er sei Ralph Giordano, stößt bei den Wachleuten auf taube Ohren.

Die anderen Geladenen sitzen schon, Freimut Duve mit verschränkten Armen, Michael Glos mit den Händen auf den Knien. „Der Herr Haider kommt ein wenig später“, weiß Böhme, weil der Jörg aus Wien geflogen kommt. „Er hat Gegenwind, aber das kennt er ja.“ So hat der wahre Star des Abends den ersten Lacher auf seiner Seite, obwohl er noch gar nicht aufgekreuzt ist. Dafür aber sein Saalschutz. Ein knappes Dutzend ernster, kräftiger Männer in anthrazitfarbenen Anzügen mit dem blauen Button der Freiheitlichen am Revers geht in strategischen Positionen in Stellung. Auf brandendem Applaus endlich surft er herein und nimmt Platz in Blitzlichtgewitter und Buhrufen, graues Sakko, schwarzer Rollkragen, braun gebrannt: Haider. Der weiß Claqueure hinter sich und begreift recht schnell, wen er da vor sich hat: Eine Phalanx mahnender Greise nämlich, die ihn mit väterlichem Tadel in die Zange nehmen will. Doch es wird nicht ersichtlich, woran sie schwerer tragen: An ihren Bedenken oder am schillernden Rad, das Pfauen eben zu schlagen pflegen. Duve würdigt Haider kaum eines Blickes, fasst ihn aber mehrmals am Arm und spricht herablassend von „Östreich“, was Haider auf gleicher Ebene kontert, indem er seinen Gegenüber konsequent mit „Düve“ anspricht. Giordano hingegen, vom Teufel der Dialektik geritten, hält Haider für „den sympathischsten Menschen, der mir in meinem 76-jährigen Leben je begegnet ist“.

In den Werbepausen sitzen sich die Debattanden wieder wortlos gegenüber. Während Herr Giordano sich ein Glas Wasser wünscht, gibt Haider bereitwillig Autogramme und kommentiert vergnügt die eigene Gefährlichkeit: „Hier wird die Meinungsvielfalt allmählich zum halsbrecherischen Risiko für die Medien.“

Giordano, ganz die beleidigte Eule, verlässt noch vor Ende der Veranstaltung seinen Platz. Das Beste, was er tun konnte: Flugs schwingt sich ein Demonstrant auf den vakanten Stuhl, präsentiert ein T-Shirt mit dem Konterfei Haiders und der Aufschrift „Bitte jetzt weiterzappen“. Aber wohin nur, wohin? Zur Christiansen etwa, wo Kollege Schüssel sitzt?

Arno Frank, Berlin