Die Schöne und der Narr: „The Million Dollar Hotel“ von Wim Wenders

Es gibt diese ganz besondere Erinnerung an Wenders-Filme, eigentlich ist es mehr ein topografisches Gefühl. So wie man an ein Hotelzimmer in einer fremden Stadt zurückdenkt, in dem man sich wohlgefühlt hat, ohne dass man darin große Abenteuer erlebt hätte.

„The Million Dollar Hotel“ ist wieder so ein Film, bei dem man sich im Nachhinein fragt, ob er so viel mehr ist als dieser Eindruck einer wohliger Ferne, den er hinterlässt. Zwar gibt es einen klassischen Plot, mit einem Toten, Verdächtigen und einem ermittelnden Detective. Aber schon Special Agent Mel Gibson – als Schauspieler eigentlich das pur Profane – wirkt wie eine entrückte Kinoerinnerung, zusammengesetzt aus hunderten sich überlagernden Helden, ein einsamer Großstadtpolizist, von all den Einsätzen so mitgenommen, dass er eine Halskrause tragen muss.

Ort der Handlung ist das „Million Dollar Hotel“ in Los Angeles, ein heruntergekommener Kasten aus den 20er-, 30er-Jahren, bevölkert von einer skurrilen Bewohnerschar, deren familienähnliche Struktur durch den FBI-Mann durcheinandergerät. Nur der etwas zurückgebliebene Tom Tom freut sich, aus dessen kindlicher Perspektive die Ermittlungen wie ein großes Abenteuer wirken. Damit wären wir wieder bei Wenders’ Suche nach der Unschuld der Bilder, der Unschuld der Wahrnehmung, die hier auch zu einer unschuldigen bzw. keuschen Liebesgeschichte führt: Eloise (Milla Jovovich), die befremdlich In-sich-Zurückgezogene, läuft barfuß durch die Straße, passenderweise mit „Hundert Jahre Einsamkeit“ unterm Arm, und Tom Tom, dessen Haare plötzlich noch niedlicher abzustehen scheinen, ist völlig hingerissen. Der weise Narr und die einsame Schöne – alles hätte so gut werden können. Irgendwann im Film wird Eloise ihre weißen Seidenschuhe auf einem 30er-Jahre-Bartresen vergessen.

Vielleicht ist das Thema von „The Million Dollar Hotel“, auch wenn so etwas wie eine Geschichte zu erkennen ist, doch wieder eine Idee, eine Sehnsucht. Sehnsucht nach den Bildern eines american America, das so aussieht wie die zum Leben erwachten Bars und Hotelzimmer von Edward Hopper, nach der abgeklärten Aura der Stadt Los Angeles, deren reale Gegenwart zur pittoresk ausgestellten Freakshow der Hotelbewohner wird. Die schön cadrierten Ausblicke aus den Hotelfenstern, die dahingroovende Musik und der sanfte Duktus von Tom Toms kindlich-naiver Off-Stimme – das alles ergibt wieder dieses seltsame Gefühl einer letztlich ereignislosen Entrücktheit, einer watteweichen Wenders-Ferne, an die man sich gerne erinnert, ohne je wieder bis zum eigentlichen Film vorzudringen.

Katja Nicodemus/ Fotos: Verleih