Israel zerbombt Beiruts Stromnetz

Libanons Hauptstadt ist Ziel der schwersten Angriffe seit Monaten, offiziell Vergeltung für Angriffe der Hisbullah. Doch gemeint ist auch Syrien ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul

Das Szenario erinnert an den April 1996: Israelische Kampfjets fliegen Angriffe auf Ziele im Libanon, und tausende Bewohner der Städte im Norden Israels flüchten aus Angst vor Vergeltung der libanesischen Hisbullah in die Bunker.

Gestern flogen israelische Piloten die schwersten Angriffe seit Monaten im Libanon. Ziele waren diesmal Elektrizitätswerke. In allen größeren Städten des Landes, der Hauptstadt Beirut, Sidon, Tyrus und Baalbek fiel über Stunden der Strom aus. In Baalbek, einer Hochburg der Hisbullah, wurden laut libanesischen Angaben mindestens 16 Menschen Verletzt.

Grund für den Angriff war der Tod von fünf israelischen Soldaten, die in den vergangenen beiden Wochen im von Israel besetzten Südlibanon Opfer der Hisbullah geworden waren. Unter den Toten ist auch ein hochrangiger Offizier der mit Israel verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA).

Die Motive für den jetzigen Angriff und den von 1996 sind ähnlich. Damals wollte Israels Premierministers Schimon Peres über den Angriff auf die libanesische Infrastruktur einen Dialog mit Syrien und damit ein Ende der Gewalt erzwingen. Doch stattdessen kam es jedoch zu einem furchtbaren Massaker mit fast hundert toten Zivilisten in dem libanesischen Dorf Kana. Die Eskalation endete damals mit den Vereinbarungen der Operation „Früchte des Zorns“.

Diese Vereinbarungen seien nun von der Hisbullah verletzt worden, und das könne nicht geduldet werden, begründet jetzt Peres’ Nachfolger Ehud Barak die erneuten Bombardierungen. Im wiederkehrenden Tenor wird Syrien mehr oder weniger direkt für die jüngsten Eskalationen verantwortlich gemacht. Die Regierung in Damaskus müsse sich entscheiden, ob sie die Fortsetzung der Friedensverhandlungen unterstützt oder den Kampf der Hisbullah gegen Israel, so die Forderung des israelischen Kabinetts. Auf syrischer Seite scheint es jedoch nicht um die Frage von „entweder-oder“ zu gehen. So zitierte die in London erscheinende arabische Tageszeitung al-Hayat syrische Quellen, die nicht nur einen „Waffenstillstand während der Verhandlungen ablehnen“, sondern im Gegenteil eine „Balance“ zwischen Diplomatie und militärischem Widerstand anstreben.

Dessenungeachtet wird Israel vor allem von den Nachbarstaaten als der entscheidende Aggressor betrachtet. Libanons Premierminister Salim Hoss sieht die Lösung des Gewaltproblems einzig in einem Ende der Besatzung des Libanon. Der Widerstand sei niemals Grund für die Eskalation gewesen, sondern einzig das Ergebnis der Besatzung. Israel habe „keine Chance“, die Situation durch eine Eskalation der Aggression im Südlibanon zu verändern.

Im Jerusalemer Kabinett und im Parlament reagieren die Politiker routiniert. Wie gehabt fordert Oppositionsführer Ariel Scharon die „komplette Lahmlegung der libanesischen Infrastruktur“, und wie stets warnt Jossi Beilin, derzeit Justizminister, vor sinnloser Gewalt: „Wir sind keine Armee der Rache, sondern wir sollten mit kühlem Kopf, Klugheit und Verantwortung handeln.“ Der Justizminister ist seit Jahren vehementer Befürworter eines sofortigen Truppenabzugs aus dem Libanon. Vorläufig hält Barak an dem schon zu Wahlkampfzeiten festgelegten Termin „Juli 2000“ für den Abzug aus der so genannten Sicherheitszone fest. Ohne eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Damaskus und Jerusalem wird sich bis dahin an der Lagegrundlegend nichts ändern. Unterdessen könnte die Situation außer Kontrolle geraten – wie 1996. Gestern Nachmittag töteten Hisbullah-Kämpfer im Südlibanon einen weiteren israelischen Soldaten.